Die Künstliche Intelligenz (KI) macht vielen Angst. Wird sie tatsächlich 40 Prozent der Arbeitsplätze wegrationalisieren? Unser Autor meint: Es wird weiterhin ausreichend bezahlte Arbeit geben.
Von Erik Händeler
Arbeit ist, Probleme zu lösen. Und weil wir immer Probleme haben werden, wird uns auch niemals die bezahlte Arbeit ausgehen. Zugegeben: Elektronisch gesteuerte Maschinen übernehmen den größten Teil der materiellen Arbeit, Computer die strukturierte Informationsarbeit wie Gehaltsabrechnung, Telefonvermittlung und Robotersteuerung. Jetzt kommt auch noch die KI und spart uns Zeit beim Texten von standardisierten Sachverhalten. Was aber wächst, ist die Arbeit am Menschen, die kleinteilige materielle Arbeit – Küche und Bad werden auch weiterhin von Handwerkern saniert -, sowie vor allem das Anwenden von Wissen: Planen, Organisieren, Beraten.
Wer ein Thema im Internet sucht oder eine KI beauftragt, eine Übersicht zusammenzustellen, der bekommt Daten. Aber er muss in der Lage sein, sie zu deuten und zu gewichten. Dazu benötigt er oder sie Orientierungswissen und Erfahrung. Zahllose Softwareprojekte enden als „Schrankware“, weil der Programmierer keine Ahnung hat von den Informationsprozessen in der Firma, sich der Mittelständler nicht verständlich ausdrückt und ihm ständig neue Wünsche einfallen – sie landen im Schrank, eben als „Schrankware“. Das ist keine Frage von technischer Machbarkeit, sondern der Kommunikation und des Denkens.
Immaterielles Wachstum
Das Produzieren fällt bei vielen Gütern finanziell weniger ins Gewicht, als sie zu entwickeln, zu designen und zu vermarkten. Dieses Arbeiten mit Wissen macht den größten Teil der Kosten aus. Die Wirtschaft wächst dadurch in die gedachte Welt hinein – und dort gibt es keine Grenzen des Wachstums. Natürlich gibt es materielle und ökologische Grenzen des Wachstums – bei „Dingen“ wie Autos oder Kühlschränken, aber nicht für den Umgang mit Wissen. Ob jemand arbeitslos zu Hause herumsitzt oder zu Hause herumsitzt und Folien designt, recherchiert oder ein Beratungskonzept entwirft – für den Ressourcenverbrauch spielt das kaum eine Rolle. Wenn es gelingt, eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen, dann kann die immaterielle Wertschöpfung ins potenziell Grenzenlose wachsen.
Auch für weniger Gebildete gibt es in Zukunft Wissensarbeit, etwa in dem begrenzten Bereich, ein neues Handy zu erklären – dafür muss jemand nicht Elektrotechnik studiert haben. Und wo im Bauboom Elektriker zur Mangelware geworden sind, werden Langzeitarbeitslose in Dreimonatskursen zum Bauelektriker-Helfer ausgebildet. Während also der teure Bau-Elektriker mit einem Kreidestrich den Leitungsverlauf in den Rohbau zeichnet, kommt der Helfer mit der Fräsmaschine und schneidet die Fuge für die Leitung – und entlastet ihn um weit über die Hälfte seiner Zeit. Den jeweils höher Gebildeten die Routinearbeiten abnehmen – das ist eine der Zukünfte der Arbeit für die weniger Gebildeten.
„Ellenbogen-Propheten“
Diese positiven Visionen sind wichtig, um den Wandel zu gestalten. Nun reagiert das menschliche Gehirn eher auf schlechte Nachrichten. Wahrscheinlich war es in der Savannenwelt der Steinzeit ein Überlebensvorteil, ständig auf mögliche Gefahren zu achten. Und ja, die Leiden des 30-jährigen Krieges und der Bombenkrieg mit Flucht und Hunger im Zweiten Weltkrieg gehören gerade in Deutschland zu dem Unausgesprochenen und Unbewussten, das weitervererbt wird und uns auf mögliche Katastrophen schauen lässt. So haben die nassforschen Ellenbogen-Propheten derzeit ein leichtes Spiel auf den Kongressbühnen der Verbände und Unternehmen, wenn sie erzählen, dass bald 40 Prozent der Arbeitsplätze wegbrechen werden und alle untergehen, die ihnen nicht folgen.
Das Problem mit diesen Weltuntergangsrednern ist, dass sie Angst verbreiten und eine Stimmung, die die Menschen sich vor der Zukunft fürchten lässt. Die gehen dann in Abwehrhaltung, entsolidarisieren sich und werden zu rücksichtslosen Darwinisten wie auf dem sinkenden Schiff im Kampf um einen Platz im Rettungsboot. Nur mit positiven Bildern von der Zukunft, die nebenbei auch noch die realistischen sind, werden die Menschen die Kraft haben, den Wandel zu gestalten und sich zusammenzuschließen, um überindividuelle Probleme anzugehen.
Höhere Produktivität, mehr Arbeit
Denn nur mit mehr Digitalisierung gibt es mehr Arbeit als vorher. Höhere Produktivität ermöglicht neue Arbeitsplätze, die vorher noch nicht rentabel waren. Die historische Wahrheit ist: Nur weil die Dampfmaschine half, Pumpen anzutreiben, die die Bergwerke entwässerten, war es möglich, mehr Erz und Kohle hoch zu schaffen. Nur weil die Eisenbahn die frische Milch von glücklichen Kühen aus dem Allgäu in die boomende Industriestadt Augsburg transportierte, war es möglich, dort ein Heer von Industriearbeitern mit ausreichend Lebensmitteln zu ernähren. Und nur weil nicht mehr das Fräulein vom Amt Telefongespräche vermittelt wie in den 1920ern, sondern der Computer, ist Telefonieren für jeden erschwinglich, ja fast kostenlos geworden.
So ist das Meiste an Digitalisierung, was als „Sau“ durchs Dorf getrieben wird, letztlich nur eine nachholende Digitalisierung, die vor zehn Jahren auch schon möglich war, aber bislang verschlafen wurde. Und vieles, was als Künstliche Intelligenz verkauft wird, ist lediglich ein Programm, das die explodierte Datenmenge besser auswerten kann und uns hilft, damit zurechtzukommen. Auch Industrie 4.0, die internetbasierte Produktionsweise, betrifft nur eine Minderheit von Beschäftigten. Dabei haben wird gar keinen Mangel an Dingen. Die meisten von uns wohnen in Häusern oder Wohnungen, die gestopft voll sind von Zeug, von unten im Keller bis oben unters Dach, über drei Generationen angesammelt. Statt an Dingen haben wir einen Mangel an Qualität, an Entwicklung, an Beratung, an Gesundheit. Wir haben einen Mangel an immateriellen Produkten!
Die Gruppe als Schlüsselfaktor
Deswegen gehen die techniklastigen Diskussionen an der Wirklichkeit vorbei: Der Wohlstand entscheidet sich an der Frage, wie produktiv Menschen Wissen anwenden, und zwar nicht als Individualisten, sondern als Gruppe. Drei mittelmäßige Leute, die gut genug zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver als ein Super-Crack, bei dem es leider nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen. Produktivität ist das Schlüsselwort für alles: Neue Arbeitsplätze entstehen nicht dort, wo die Löhne niedrig sind (dann müsste ja in Bangladesch Vollbeschäftigung sein!), sondern dort, wo Menschen im Umgang mit Wissen ausreichend produktiv sind.
Kapital kann sich jeder Unternehmer leihen, und sei es in Saudi-Arabien. Jeder Unternehmer kann weltweit jede Maschine und Anlagen für sich einkaufen. Jeder kann einen Spezialisten in Paris ein paar Stunden mieten, sich das Wissen der Menschheit aus dem Internet holen, seine Produkte dort vermarkten. Der einzige, der entscheidende Standortfaktor wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Wissen umzugehen. Und das ist immer der Umgang mit anderen, die man unterschiedlich gut kennt und mag, und mit denen man unterschiedlich viele, berechtigte Interessenkonflikte hat.
Chance für das Evangelium
Die Reibungsverluste oder aber das Gelingen der Zusammenarbeit entscheiden weltweit den Wettbewerb. Das neue Paradigma, in der Zusammenarbeit mit anderen Wissen produktiv anzuwenden, ändert Verhaltensmuster und Hierarchien. Die von Religionen geprägten Kulturen machen dabei den Unterschied, ob der einzelne sich entfalten kann oder sich der Gruppe anpassen muss, ob er nur egoistisch handelt oder auch das Gesamtinteresse verfolgt. Das neue Muster für Produktivität gleicht der Ethik des Evangeliums: etwa auch dann noch weiter zusammenzuarbeiten, wenn man sich gestritten hat; einen wahrhaftigen Umgang statt eines eigennutzorientierten Umgangs; die Demut, sich zurückzunehmen, wenn die eigene Kompetenz gerade nicht gebraucht wird.
Nie waren die Menschen mehr gefordert, ihr Gewissen zu prüfen und über ihr Eigeninteresse hinaus zu handeln, damit Teamarbeit gelingt und ein Unternehmen ausreichend produktiv ist, um zu überleben. Kaum sind 2000 Jahre Kirchengeschichte vorbei, gerät das, was das Evangelium ausmacht, ins Zentrum der gesellschaftlichen Veränderung, die von neuen wirtschaftlichen Anforderungen angetrieben werden. Wenn sich dann der aufgewirbelte Staub gelegt haben wird, kommt eine Welt zutage, in der das Evangelium ganz neue Chancen hat, erzählt, bedacht und umgesetzt zu werden.
Erik Händeler, Jahrgang 1969, arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist, Buchautor und Redner am Schnittpunkt von Religion und Wirtschaft. Nach einem Tageszeitungsvolontariat und Tätigkeit als Stadtredakteur in Ingolstadt studierte er in München Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik. Der verheiratete Vater von drei Kindern ist in kirchlichen Gremien und Verbänden engagiert, auch in faktor c.
www.erik-haendeler.de
VERÖFFENTLICHUNGEN
„Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen“ (11. Auflage), „Kondratieffs Gedankenwelt“ (7. Auflage), „Himmel 4.0“ (2. Auflage).