Die digitale Transformation hat traditionelle Geschäftsmodelle pulverisiert, Tech-Giganten wie Amazon, Meta, Google und TikTok dominieren mit über 80 Prozent den Werbemarkt. Speziell die kirchliche Publizistik kämpft zusätzlich mit schwindenden Mitgliederzahlen, schmelzenden Finanzen und nachlassender Religiosität in der Gesellschaft. Eine Branche unter Doppeldruck also – und dennoch ist Mitarbeiterbindung möglich.

 

Von Jörg Bollmann

 

Ein langjähriger theologischer Redakteur kündigte bei unserem Magazin chrismon, obwohl er bestens vergütet wurde und sich stark mit dem Unternehmen identifizierte. Er war seit der Gründung im Jahr 2000 dabei, hatte den Umzug von Hamburg nach Frankfurt mitgemacht und sich auch im Betriebsrat engagiert. Während der Corona-Zeit hatte er wichtige Impulse zum Erhalt des Unternehmens gegeben. Der Grund für seinen Weggang: Seine Karrierewünsche nach einer Führungsposition konnten wir nicht erfüllen. Wir sahen ihn einfach nicht in einer hierarchischen Position und hatten ihm das in ausführlichen Gesprächen erklärt. Als dann eine vakante Führungsposition mit einer anderen Person besetzt wurde, war das zu viel. Trotz intensiver Gespräche und vieler kommunikativer Bemühungen verloren wir ihn.

 

Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich extrem schwierig, da wir quasi eine „eierlegende Wollmilchsau“ suchten. Ein theologischer Redakteur für chrismon muss exzellent schreiben und es mit den Edelfedern von Spiegel und Stern aufnehmen können. Er braucht Verständnis fürs Blattmachen, muss digitale Transformation beherrschen und mit der Kirchenleitung auf Augenhöhe kommunizieren können – aber ohne interne Machtansprüche. Auf dem offenen Arbeitsmarkt war diese Kombination nicht zu finden.

 

Die kreative Lösung

 

Die Lösung fanden wir schließlich in einem unkonventionellen Weg: Statt eines erfahrenen Journalisten suchten wir einen erstklassigen Theologen, der Lust hatte, die Seiten zu wechseln. Wir boten ihm ein einjähriges Volontariat mit Stationen in säkularen Medien bei vollem Redakteursgehalt. Ein Regelbruch, der sich aber als goldrichtig erwies. Der Mann entwickelte sich zum erfolgreichen theologischen Redakteur.

 

Aus dieser und vielen weiteren Erfahrungen habe ich zwölf zentrale Anregungen für die Mitarbeiterbindung entwickelt.

 

  1. Akzeptieren Sie Niederlagen bei der Mitarbeiterbindung

Wenn die Differenzen unüberbrückbar sind, ist eine Trennung besser als faule Kompromisse. Im Fall unseres theologischen Redakteurs hätten wir mit einem Scheinkompromiss bei der Führungsposition nur Unzufriedenheit und unklare Strukturen geschaffen.

 

  1. Korrigieren Sie Fehlentscheidungen konsequent

In der Buchhaltung mussten wir eine bereits kommunizierte Beförderung zurücknehmen, um eine andere hervorragende Mitarbeiterin zu halten. Eine 180-Grad-Wendung gegen alle Regeln, die sich aber als richtig erwies.

 

  1. Analysieren Sie Führungspositionen und Kandidaten gründlich

Nehmen Sie sich Zeit und hören Sie auch auf Zwischentöne. Im Fall der Buchhaltung hatten wir die versteckten Ambitionen einer Mitarbeiterin überhört und fast eine Leistungsträgerin verloren.

 

  1. Prüfen Sie in Notsituationen alle Optionen

Manchmal lässt sich eine Position auch anders organisieren. Sondieren Sie alle internen Möglichkeiten, bevor Sie extern suchen. Prüfen Sie auch, ob die Position in der bisherigen Form wirklich notwendig ist.

 

  1. Scheuen Sie nicht vor unkonventionellen Lösungen zurück

Manchmal müssen eigene Regeln gebrochen werden – wie bei unserem Theologen mit Redakteursgehalt im Volontariat. Wichtig sind Transparenz und gute Begründung gegenüber Betriebsrat und Aufsichtsgremien.

 

  1. Nutzen Sie bei Bedarf Mediation

In einem Fall half uns ein Mediator, einen Gehaltskonflikt zu lösen, der durch die Einstellung eines höher bezahlten Spezialisten entstanden war. Die Investition in professionelle Konfliktlösung lohnte sich.

 

  1. Behalten Sie bei Sozialleistungen die Kernaufgaben im Blick

Nicht jeder Trend muss mitgemacht werden. Jobrad, Jobticket und Co. sind gut, aber die Leistungen müssen zum Unternehmen passen und finanzierbar sein.

 

  1. Nehmen Sie soziale Gerechtigkeit ernst

Die Belegschaft reagiert sehr sensibel auf gefühlte Ungerechtigkeiten. Das gilt besonders beim Umgang mit Krankheitsfällen und bei der Wiedereingliederung. Investieren Sie Zeit in Kommunikation und faire Lösungen.

 

  1. Seien Sie vorsichtig mit Leistungsprämien

Bei radio ffn führten intransparente „Schecks“ zur Spaltung der Belegschaft. Prämien brauchen klare Kriterien, Transparenz und Mitbestimmung.

 

  1. Handeln Sie konsequent bei Leistungsproblemen

Verschleppen Sie keine Probleme mit leistungsschwachen Mitarbeitern. Die Kollegen erwarten hier konsequentes Handeln, aber mit transparenter Kommunikation.

 

  1. Entwickeln Sie Ihren authentischen Führungsstil

Als NDR-Redaktionsleiter war ich immer erreichbar und stellte mich schützend vor mein Team. In der Nachrichtenredaktion wäre das als Bevormundung empfunden worden. Der Stil muss zum Team passen.

 

  1. Pflegen Sie eine lebendige Unternehmensphilosophie

Bei uns bedeutete das, journalistische Professionalität mit kirchlichem Auftrag zu verbinden. Das geht nur im ständigen Dialog.

 

 

Erfolgsbeispiele aus der Praxis

 

  • Als Leiter der Redaktion Aktuelles und Sport bei NDR 1 Niedersachsen haben wir es geschafft, eine einst belächelte Abteilung zum Vorbild für moderne Information zu entwickeln. Der Schlüssel war bedingungsloser Rückhalt für das Team bei gleichzeitig hohen Qualitätsansprüchen. Wenn der Hörfunkchef Kritik hatte, ging die über meinen Tisch – nicht direkt an die Redakteure.

 

  • Besonders in Spezialmedien wie der evangelischen Publizistik spielt die Identifikation mit dem Unternehmen eine zentrale Rolle. Als ich Journalisten sagte, sie sollten „das Evangelium mit journalistischen Mitteln verkünden“, erntete ich erst Entrüstung. Aber im Dialog entwickelte sich ein Verständnis für die besondere Rolle evangelischer Medien. Heute vereint chrismon journalistische Exzellenz mit kirchlichem Auftrag – ohne belehrend zu sein.

 

  • Die digitale Transformation verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch Arbeitsweisen und -kulturen. Homeoffice, hybride Teams und neue Kommunikationsformen erfordern angepasste Bindungsstrategien. Gleichzeitig suchen gerade junge Mitarbeiter nach Sinn und Werten in ihrer Arbeit.

 

 

Der bewährte Instrumentenkasten

 

  • Vergütung und Leistung:

– Marktgerechte Gehälter im internen/externen Vergleich

– Transparente leistungsbezogene Prämien

– Ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Sozialem

– Klare Karrierepfade und Entwicklungsmöglichkeiten

 

  • Sozialleistungen:

– Attraktive Altersvorsorge und vermögenswirksame Leistungen

– Moderne Mobilitätsangebote (Jobrad, Jobticket, Dienstwagen)

– Flexible Arbeitszeitmodelle auf Vertrauensbasis

– Familienfreundliche Angebote inkl. Arbeitsbelastungsausgleich

– Professionelles Gesundheitsmanagement

– Umfassendes Wiedereingliederungsmanagement

 

  • Führung und Kommunikation:

– Klare, transparente Führungsstrukturen

– Regelmäßige Mitarbeitergespräche

– Offene Feedbackkultur

– Einbindung in Entscheidungsprozesse

– Förderung von Kreativität und Eigenverantwortung

 

Fazit

 

Mitarbeiterbindung ist eine komplexe Führungsaufgabe, die Fingerspitzengefühl, Konsequenz und ständige Kommunikation erfordert. Sie funktioniert nur mit einem stimmigen Gesamtkonzept aus:

– angemessener Vergütung

– überzeugenden Sozialleistungen

– fairer, authentischer Führung

– gemeinsamer Identität und Werten

– Raum für persönliche Entwicklung

– offener Kommunikationskultur

 

Mit den richtigen Instrumenten, mutigem Handeln in Krisen und einem authentischen Führungsstil ist sie aber machbar . Dabei gilt: Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden, die vorgestellten Instrumente und Anregungen situationsgerecht einzusetzen. Es gibt keine Standardlösung, aber viele Möglichkeiten, wertvolle Mitarbeiter langfristig zu binden und gemeinsam erfolgreich zu sein.

Die wichtigste Erkenntnis aus drei Jahrzehnten Führungserfahrung: Mitarbeiterbindung ist keine technische Aufgabe, sondern eine zutiefst menschliche. Sie gelingt dort, wo Menschen sich gesehen, wertgeschätzt und in ihrer Entwicklung gefördert fühlen – und wo sie Teil einer sinnvollen, gemeinsamen Mission sein können.

Statistiken zum Thema:

167,2 Mrd. € betragen die potenziellen Kosten des Mangels an emotionaler Bindung für die deutsche Wirtschaft aufgrund von Produktivitätsverlusten.

3x stärkere Bindung
60 % der emotional hoch gebundenen deutschen Arbeitnehmenden beabsichtigen, in drei Jahren noch für ihren aktuellen Arbeitgeber tätig zu sein, verglichen mit 20 % der Arbeitnehmenden ohne emotionale Bindung.

hohe Wechselbereitschaft
Lediglich etwas mehr als die Hälfte (53 %) der Befragten glaubt, in einem Jahr noch beim aktuellen Arbeitgeber zu arbeiten.

wenig Zufriedenheit
Die Statistik, dass nur 22 % der Arbeitnehmer mit ihrer direkten Führungskraft ausnahmslos zufrieden sind.

67 % haben keine emotionale Bindung
Nur 14 % der deutschen Arbeitnehmenden
bezeichnen sich als emotional gebunden, ganze 67 % als nicht gebunden.

Fazit: Die Auswirkungen schlechter Mitarbeiterbindung sind alarmierend!
Laut Gallup kosten unmotivierte Arbeitskräfte die deutsche Wirtschaft durchschnittlich dreistellige Milliardenbeträge. Die Gallup-Studie betont auch die negativen Auswirkungen niedriger emotionaler Bindung wie sinkende Produktivität, steigende Fehlzeiten und erhöhte Wechselbereitschaft

Quelle: ©Gallup’s Engagement Index Germany 2023

 

 

 

Jörg Bollmann,
Jahrgang 1958, war bis März 2024 Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP). Unter seiner Leitung wurde das GEP als zentrale evangelische Medieneinrichtung weiter ausgebaut. Nach dem Studium der Soziologie absolvierte er ein Volontariat bei der „Rotenburger Kreiszeitung“. Im Anschluss an Stationen beim privaten Hörfunksender ffn und Sat.1 Nord wechselte er 1992 zum NDR Hörfunk. Dort stieg er 1996 zum Nachrichtenchef auf und wurde ein Jahr später Wellenchef von NDR2. Der verheiratete Vater von zwei Kindern und zweifache Großvater engagiert sich heute ehrenamtlich als Lektor in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Sein neues Buch heißt: 20 Meter für die Ewigkeit. Warum wir himmlische Geschichten brauchen. (Ev. Verlangsanstalt Leipzig).