Eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben ist die Berufswahl. Doch junge Menschen sind zunehmend verunsichert, welches Studium oder welche Lehre sie wählen sollen. Wie können Eltern und Großeltern sie dabei besser unterstützen? Ein erfahrener Begleiter junger Leute gibt Antwort.

Von Stephan Münch

Als ich Jeremia kennenlernte, stand er kurz vor seinem Abitur. Er hatte glänzende Aussichten das Schuljahr mit einem Eins-Komma-Abschluss zu beenden. Trotzdem fragte er sich: „Was um alles in der Welt soll ich mit meinem Abitur machen? Es stehen mir tausend Wege offen – nur welchen soll ich nehmen?“ So kam er vor zwei Jahren zum Lebenstraum-Jahr, und heute studiert er Zahnmedizin.

So wie Jeremia geht es sehr vielen jungen Leuten in Deutschland. Die Bertelsmannstudie aus dem Jahr 2023 stellt fest, dass über ein Drittel aller Schulabgänger nicht weiß, wohin es gehen soll. Die Schule ist ihnen da keine besonders große Hilfe – knapp die Hälfte (49 Prozent) fühlt sich von der Schule nicht auf das Berufsleben vorbereitet.

Abbrüche von Studium und Lehre

Viele der Heranwachsenden ergreifen irgendeinen Beruf oder studieren irgendwas – auch wenn es ihnen nicht liegt. Dadurch entsteht Unzufriedenheit und Unsicherheit, und sie fragen sich: „Habe ich wirklich die richtige Richtung eingeschlagen?“ Diese Unklarheit führt dazu, dass laut einer Meldung der „Wirtschaftswoche“ vom vergangenen Herbst fast 30 Prozent aller Lehrlinge ihre Ausbildung wieder abbrechen. Zudem hören 28 Prozent aller Bachelor-Studierenden ebenfalls mit ihrem Studium wieder auf.

Wie können Eltern oder Großeltern Heranwachsende unterstützen, damit sie ihren Weg finden – mitten durch diesen Dschungel der Überforderung hindurch? Wie gelingt es, ihnen Sicherheit, Mut und Liebe zu geben – damit sie aufrecht und entschlossen durch die Herausforderungen gehen können?

Fünf Werkzeuge

Ich möchte fünf praktische Tools an die Hand geben, wie wir unsere Heranwachsenden unterstützen können, ihren beruflichen und persönlichen Weg zu gehen.

1. Vertraue deinem Kind / Enkel Eines der größten Herausforderungen für Eltern (manchmal auch Großeltern) ist das Loslassen. Heranwachsende müssen ihren eigenen Weg gehen dürfen. Das ist oft gar nicht so einfach. Vor allem, wenn sie etwas machen, was man sich nicht für sein Kind vorgestellt hat. Aber es steht bereits auf den ersten Seiten der Bibel: Es ist wichtig für junge Erwachsene, Entscheidungen zu treffen, auszuziehen und ihren eigenen Weg zu gehen: „Darum wird ein Mann [eine Frau] Vater und Mutter verlassen“ (1. Mose 2,24). Das ist die Grundvoraussetzung für eine gute Charakterentwicklung und eigene Identitätsbildung junger Menschen. In unserem Orientierungsjahr erleben wir das immer wieder: Eines der größten Hindernisse für die persönliche Entwicklung ist, wenn Eltern ihre Kinder nicht loslassen können!

2. Bete für deine Kinder und Enkel Als ich selbst mit 21 Jahren von zuhause auszog, rechnete ich es meinen Eltern hoch an, dass sie mich innerlich losgelassen hatten. Sie fragten zwar hin und wieder nach – mischten sich aber in keine meiner Entscheidungen ein (danke, Mama und Papa!). Aber was ich unglaublich geschätzt habe, war: Sie beteten für mich. Meine Mutter betet mit ihren fast 80 Jahren immer noch täglich für mich und für meine Frau und unsere Kinder zwischen 16 und 23. Die Kinder und Enkel Gott anzuvertrauen, ist das Beste, was wir für sie tun können.

3. Findet gemeinsam heraus, welcher Beruf passt Bei unserem Orientierungsjahr Lebenstraum haben wir einen drei Monate dauernden intensiven Berufsfindungsprozess. Wir bieten Bewerbungstraining an, viele Einzelgespräche, wir bekommen Unterstützung von der Agentur für Arbeit. Aber das entscheidende Tool für die Berufsfindung ist ein Test, den wir mit unseren Teilnehmern machen. Dieser kostenlose Test gibt einen genialen Überblick über verschiedene Berufsgruppen, die zu einem passen würden, und welche Berufe den persönlichen Gaben entsprechen. Hier kann man den Test einfach mal anschauen und ausprobieren (Dauer ca. 1,5 Stunden): www.berufsprofiling.de

4. Einfach mal ausprobieren Wenn man den Test gemacht hat, ist es wichtig, verschiedene Berufe einfach auszuprobieren. Viele Schulen bieten Praktikumszeiten an. Wenn man mehr Praktika braucht (ich empfehle zwei bis drei), dann kann man auch noch in den Ferien ein zusätzliches Praktikum einschieben. Viele Firmen sind dankbar, wenn Praktikanten kommen, da aktuell ein großer Nachwuchsmangel im Ausbildungsbereich besteht und die Firmen so den einen oder anderen potenziellen Bewerber kennenlernen können. Hier dürfen wir als Eltern und Großeltern unseren Heranwachsenden beistehen, Kontakte herstellen, vermitteln. Aber die Mail, beziehungsweise die Bewerbung zum Praktikum muss er oder sie immer selbst schreiben!

5. Mutige Entscheidungen treffen Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, ob der Beruf, den man favorisiert, auch wirklich passt. Aber 80 Prozent Sicherheit reichen vollkommen aus. Da kann man den Jugendlichen wirklich ermutigen, einen Schritt ins Studium oder die Lehre zu gehen – auch wenn nicht alles perfekt ist. In meiner Tätigkeit als Berufsberater von jungen Leuten ist mir klar geworden: Man sollte beruflich das tun, was einem wirklich auf dem Herzen liegt – auch wenn eine Rest-Unsicherheit besteht. Es geht zwar auch um Karriere, finanzielle Möglichkeiten oder Sicherheit im Job. Aber wichtig ist vor allen Dingen, dass es einem Spaß macht.

Vertrauen – zu Gott und (Enkel-)Kind

Nach zehn Jahren intensiver Begleitung von jungen Menschen in unserem Lebenstraum-Jahr bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass wir als Eltern oder Begleiter lediglich Unterstützer auf dem Weg ins Leben sein können. Vertrauen spielt hier eine große Rolle – und Loslassen. Wenn wir unseren Kindern nicht vertrauen und sie nicht loslassen, behindern wir sie in ihrer persönlichen Entwicklung. Aber wir können sie ermutigen, Dinge auszuprobieren und mutige Entscheidungen zu treffen, damit sie aufrecht durchs Leben gehen können. Und das Schöne ist: Wir als Christen dürfen, wenn wir für sie beten, wissen, dass unsere Söhne und Töchter in Höhen und Tiefen wirklich in Gottes Hand sind.

www.dein-lebenstraum.com

Zum Autor:

Stephan Münch gründete vor zehn Jahren mit seiner Frau Hanna das Lebenstraum-Jahr in Uffenheim bei Würzburg mit den Schwerpunkten Persönlichkeit, Bibelschule und Berufsfindung. Dort werden junge Männer und Frauen zwischen 17 und 25 Jahren für zehn Monate im Glauben, ihrer Persönlichkeit und in ihrer Berufsfindung ermutigt und herausgefordert. Intensive Berufsberatung, drei Praktika, Workshops zur Persönlichkeit und Teambuilding, tiefgründige biblische Themen und lebenspraktische Seminare bilden das Programm des Lebenstraum-Jahres. Es gibt insgesamt 16 Plätze in zwei WGs.