An Freunden und an Einfluss gewinnen – das wünschen sich viele Menschen. Unternehmerinnen, Pastoren, Ehrenamtliche sehnen sich danach, dass ihre Herzensanliegen auf ein breiteres Echo stoßen. Der US-Amerikaner Dale Carnegie hat bereits 1936 wichtige Regeln aufgeschrieben, wie sich das erreichen lässt. Sie haben seitdem nichts an ihrer Wirksamkeit verloren.
Von Marcus Mockler
Das Buch hat unfassbare 87 Jahre auf dem Buckel und verkauft sich heute noch wie geschnitten Brot. Die Botschaft von Dale Carnegies „Wie man Freunde gewinnt – Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden“ ist dabei so aktuell wie eh und je. Was der Autor seinen Lesern nahebringt, wird bis zum heutigen Tag vernachlässigt, weshalb wir alle ohne Ende Chancen verpassen.
Vor schätzungsweise zwanzig Jahren habe ich es zum ersten Mal gelesen. Eine Grundregel des Buchs, das weltweit über 30 Millionen Mal verkauft wurde, lautet: Interessiere Dich aufrichtig für andere Menschen und ermutige sie, über sich selbst zu sprechen. Ich wollte in jener Zeit „Freunde“ gewinnen – genauer: Ich versuchte, mir ein zweites Standbein als Trainer und Coach aufzubauen und brauchte Kunden. Also nahm ich per Kaltakquise Kontakt zu verschiedenen Unternehmen auf.
Mein erstes Vor-Ort-Gespräch bei einer Unternehmerin zeigte durchschlagend, wie recht Carnegie hat. Ich sprach nur wenig von mir und ermutigte stattdessen die Frau, von ihrer Situation zu berichten und mit mir zu reflektieren, wo sie besonders herausgefordert ist und wo ihre Engpässe sind. Es hat mich extrem verblüfft, was sie innerhalb einer Stunde mir – einem Wildfremden! – über ihre betriebliche Situation offenbarte. Es funktionierte.
Zuhören statt zutexten
Eine ähnliche Geschichte erzählte mir eine Bekannte. Sie stieg mit der eben beschriebenen Haltung in ein Flugzeug und nahm sich vor, sich für ihren Nebensitzer zu interessieren und ihn zum Erzählen zu ermutigen. Nach einer Dreiviertelstunde in den Lüften zwischen Berlin und Stuttgart wusste sie fast alles über seine Scheidung, die Beziehungsprobleme, die beruflichen Herausforderungen. Hätte sie ihn für einen Geschäftsabschluss gewinnen wollen, hätte sie eine Fülle von Anhaltspunkten gehabt.
Später habe ich verschiedentlich Vertriebsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter geschult. Leute, die Carnegie definitiv nicht kannten und wohl auch deshalb in ihrem Job nicht besonders gut waren. Sie gingen in Gespräche mit dem Ansatz, einem potenziellen Kunden die „Geschichte“ ihres Produkts oder ihrer Dienstleistung zu erzählen. Ich versuchte ihnen zu vermitteln, dass sie im Gespräch die Geschichte ihres Gegenübers kennenlernen sollten – das erst gibt ihnen den Schlüssel für ein erfolgreiches Verkaufsgespräch in die Hand.
Erfolgreich kommunizieren
Worum geht es in dem Klassiker des US-Amerikaners Dale Carnegie? Es vermittelt, dass eine gelingende Kommunikation für den persönlichen Erfolg entscheidend ist. Obwohl Carnegie kein Psychologe und auch kein Theologe war, sondern Rhetoriktrainer und Positiver Denker („Sorge dich nicht – lebe!“ heißt sein anderer Mega-Seller), hat er die Psychologie des Menschen besser verstanden als mancher Wissenschaftler. Mit dem für die Amerikaner so typischen „Storytelling“, also dem Erzählen von illustrierenden Geschichten, zieht er die Leser hinein in das Thema, wie man einen guten Draht zu anderen bekommt.
Hier zehn seiner Regeln:
- Interessieren Sie sich aufrichtig für andere Menschen.
- Sie sollten andere nicht verurteilen, angreifen oder sich bei ihnen beschweren.
- Ermutigen Sie andere, über sich selbst zu sprechen.
- Wenn Sie einen Fehler gemacht haben, geben Sie es sofort zu.
- Bevor Sie jemanden anderen kritisieren, reden Sie zuerst über Ihre eigenen Fehler.
- Loben Sie jede noch so kleine Verbesserung.
- Wenn Sie Veränderungen wollen, fangen Sie bei sich selbst an.
- Eine der stärksten Sehnsüchte des Menschen ist es, sich wichtig zu fühlen. Helfen Sie anderen dabei, und mindern Sie niemals das Gefühl eines anderen für seine Bedeutung.
- Merken Sie sich Namen, weil der eigene Name für jeden Menschen den herrlichsten Klang hat.
- Kommunizieren Sie Ihre Ideen anschaulich mit Illustrationen.
Die Goldene Regel
Carnegie zitiert dazu ein Wort von Jesus Christus aus der Bergpredigt (Mt 7,12): „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“ Diese sogenannte Goldene Regel, angewandt auf unsere Kommunikation, verändert alles. Ich erinnere mich an zahllose Veranstaltungen, Kaffeepausen bei Konferenzen oder sonstigen Begegnungen, bei denen ich Menschen motivieren konnte, mir ihre Geschichte, ihre Erkenntnisse, ihre Überzeugungen zu erzählen. Gesprächsanteile: Der Andere 80 bis 90 Prozent, ich 10 bis 20 Prozent. Dabei habe ich unglaublich viel gelernt. Wie sollte es auch anders sein – meine eigenen Geschichten kenne ich ja schon.
Wenn ich aber selbst zu kommunizieren habe – in einem Vortrag, einem Seminar oder einer Predigt -, dann ist es umso wichtiger, dass die Teilnehmer unmittelbar darin vorkommen. Dass sie erkennen: Sie sind gemeint; alles ist auf sie zugeschnitten. Zugespitzt hat das der britische Staatsmann und Schriftsteller Benjamin Disraeli: „Sprechen Sie zu einem Mann über ihn selbst, und er wird Ihnen stundenlang zuhören.“
Ist das nicht auch eine Frage an Christen in der Wirtschaft, die das Ziel haben, die „Gute Nachricht“ von Gott weiterzugeben: Interessieren wir uns wirklich für andere Menschen? Oder wollen wir sie nur im Schnellverfahren missionieren? Das funktioniert heute schlechter denn je, weil sich in unserer Kultur ohnehin niemand im religiösen Sinn missionieren lassen möchte. Es will auch niemand Antworten auf Fragen, die sie oder er gar nicht stellt. Carnegie gibt uns dagegen Schlüssel in die Hand, wie wir schnell gute Beziehungen aufbauen können.
Das heikle Thema Kritik
Auch im Miteinander in Ehe und Familie, Gemeinden und christlichen Organisationen sind die Empfehlungen Carnegies Gold wert. Gerade in der Weise, wie wir Kritik üben, gibt es noch so viel zu lernen. Mir selbst ging es kürzlich so, dass ich bei einer Mitarbeiterin den Eindruck hatte, sie widme sich einem Arbeitsauftrag von mir nicht mit der erforderlichen Geschwindigkeit. Ich rief sie mit dem hörbaren Unterton der Ungeduld an – bis sie mich aufklärte, dass der Job bereits erledigt sei und ich das offenbar in unserem Redaktionssystem übersehen hatte. Sie hatte Recht. Am nächsten Morgen rief ich sie nochmal an und entschuldigte mich für den unangemessenen Ton am Vortag. Ich glaube, dadurch konnte ich eine Beschädigung unserer Beziehung verhindern.
Das Konzept des Buchs stößt allerdings auch an Grenzen. Kritik und Beschwerden müssen manchmal sein – und selbst wenn man sich beim Verpacken sehr viel Mühe gibt, lässt sich nicht garantieren, dass die Botschaft durchdringt. An einer Stelle empfiehlt der Autor, einem Menschen selbst dann rechtzugeben, wenn man weiß, dass er falschliegt. So könne dieser Mensch sein Gesicht wahren und man könne sich bei ihm beliebt machen. Für viele Leser ist hier wohl eine ethische Grenze überschritten. Denn gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass Carnegie zumindest in Grenzfällen nicht davor zurückschreckt, mit seinen Techniken andere auf unlautere Art zu manipulieren.
Das ist aber schon fast der einzige Vorbehalt gegen dieses überzeugende und gewinnende Buch, das im Leben jedes Menschen eine positive Wirkung entfalten kann. Carnegie spricht Kommunikation in der Ehe ebenso an wie mit Kunden oder im Freundeskreis. Skeptiker sind eingeladen, ein paar dieser Grundregeln einfach eine Zeitlang auszuprobieren – um zu erfahren, wie gut sie funktionieren.
Schulung für alle
Deshalb ist es aus meiner Sicht an der Zeit, die Botschaft dieses Buchs neu zu entdecken und in unseren Unternehmen, Gemeinden und Verbänden zu kultivieren. Es lässt sich geradezu als Schulungshandbuch verwenden, zumal es so einfach und interessant geschrieben ist, dass es Leser aller Bildungsabschlüsse abholt. Vertriebler und Personaler profitieren immens, dazu jede und jeder Vorgesetzte, die sich eine bessere Atmosphäre im Team wünschen. Auch Gespräche mit Zulieferern und anderen Geschäftspartnern können ein neues Level erreichen.
Jede Rede und jede Ansprache – auch die mit speziell christlichem Inhalt – wird besser, wenn sie nach den Empfehlungen Carnegies vorbereitet und gehalten wird: mit echtem Interesse an den Zuhörern, mit Mitgefühl und Respekt, mit Anschaulichkeit und Freundlichkeit. Auch zur Außenwirkung ließe sich das nutzen. Warum nicht für Menschen, die mit der biblischen Botschaft (noch) nichts anfangen können, ein Carnegie-Seminar anbieten? Es wäre eine Steilvorlage, mit den Teilnehmern dabei auch über Jesus Christus zu sprechen und die Frage, wie er kommuniziert hat.
Marcus Mockler, Jahrgang 1965, ist Chefredakteur von „faktor c“. Im Hauptberuf leitet er die Nachrichtenagentur „Evangelischer Pressedienst“ (epd) in Baden-Württemberg. Der verheiratete Vater von acht Kindern engagiert sich in seiner Freizeit mit seiner Frau Susanne für starke Ehen.