Für viele Menschen ist ein ausgewogenes Leben nur ein Traum. Der Job frisst sie auf, und mit ihrer Freizeit wissen sie in ihrem erschöpften Zustand nicht viel anzufangen. Das Stichwort „Work-Life-Balance“ ringt ihnen nur ein müdes Lächeln ab. Doch es gibt einen besseren Weg. Er hat sowohl mit unseren Hormonen als auch mit der biblischen Schöpfungsgeschichte zu tun.
Von Kerstin Hack
Work-life Balance ist für die Tonne. Warum? Der Begriff suggeriert, dass man die Arbeit und das Leben in Balance bringen muss. Arbeit wird als Gegensatz zum Leben dargestellt, nicht als Teil des Lebens. Viele Menschen, die gerne produktiv tätig sind, fühlen sich gerade bei der Arbeit besonders lebendig und im Flow. Der künstliche Kontrast von „work“ und „life“ ist von daher nicht als Konzept für ein ausgewogenes, starkes Leben geeignet.
Ich spreche deshalb lieber von Full-Life-Balance oder kreativer Life-Balance. Hier geht es darum, wie man alle fürs Leben wichtige Aspekte unter einen Hut bringt. Welche Aspekte sind das?
Acht Lebenselemente
Ich ordne das Leben am liebsten nach den acht Lebenselementen, die ich in der biblischen Schöpfungsgeschichte entdeckt habe und die auch von der neuesten Emotionsforschung als die zentralen Bausteine des menschlichen Wohlbefindens bestätigt werden.
In der Schöpfungsgeschichte wird Chaos beschrieben, das zugleich leer und wüst war. Das hebräische Wort für dieses heillose Durcheinander, Tohuwabohu, ist oft auch das, was wir erleben: großes Durcheinander und manchmal innere Leere.
Nur – wie ordnet man das Tohuwabohu? Wie lebt man natürlich und stark? Wie verliert man in dem vielen, was äußerlich und innerlich verwirrt, nicht den Überblick? In der Schöpfungsgeschichte fand ich Bilder und Symbole für ein kraftvoll-gestalterisches Leben, in dem die To-dos, also die vielen Aufgaben, erledigt wurden, aber auch das To-be, das Sein, nicht zu kurz kam.
Vom Schöpfer lernen
Der Schöpfer arbeitete mit Struktur. Er tat nicht alles gleichzeitig. Jeder Tag hatte einen Arbeitsschwerpunkt. Zu Beginn handelte Gott kreativ. Er hatte eine Vision vor Augen von dem, was er schaffen wollte. Und begann – mit Licht. Anschließend brachte er Ordnung in das Ganze: Er schob die Wassermassen an ihren Platz.
Dann schuf er Pflanzen, aus deren Samen wieder neue Pflanzen entstehen konnten – ein Bild für nachhaltige Produktivität. Um Eintönigkeit zu verhindern, schuf Gott die Sterne, die besondere Zeiten als Höhepunkte markierten. „Es wimmelt vor Leben!“ heißt es in der Beschreibung der Fische und Vögel, die dann geschaffen wurden – ein Bild für Energie und Lebensfreude.
Zu gutem Leben gehört Reflexion („Er sah an, alles, was er gemacht hatte“) und Menschen, mit denen man in Beziehung leben kann. Schließlich genoss Gott die Ruhe – als Schlusspunkt seiner kreativen Phase und als Anfangspunkt für das Leben der Menschen.
Für ein starkes, ausgewogenes Leben brauchen auch Sie alle acht Elemente.
- Vision: Wo will ich hin?
- Ordnung: Was braucht Struktur?
- Produktivität: Was will ich hervorbringen?
- Höhepunkte: Was möchte ich feiern?
- Energie: Was gibt mir Kraft?
- Beziehung: Wem möchte ich nahe sein?
- Reflexion: Was will ich durchdenken?
- Ruhe: Wie kann ich regenerieren?
Ideal ist es, wenn alle diese Lebenselemente in etwa gleichem Maß vorhanden sind – egal, ob man sie sie in der Arbeitszeit oder Freizeit auslebt. Ich erlebe beispielsweise viel Nähe zu Menschen, wenn ich sie als Coach begleite. In meiner Freizeit treffe ich mich mit Freunden, aber nehme mir auch viel Zeit für Ruhe, Regeneration und Lernen.
Ganz klar: Die perfekte Ausgewogenheit ist eine Illusion. Doch wenn einzelne Elemente auf Dauer zu kurz kommen, etwa Ruhe oder Energie, dann wird das ganze Leben schwach. Der limitierende Faktor bestimmt die Lebensqualität.
Tipp: Machen Sie regelmäßig einen Check-up und schauen Sie, welche Lebenselemente gut ausgeprägt sind und welche zu kurz kommen. Das können sie für sich persönlich machen, mit Ihrer Familie und Ihrem Team.
Gut für sich sorgen
Der Blick auf die acht Lebenselemente sorgt nicht nur für Ausgewogenheit, sondern auch für gute Gefühle. Die Welt wird von vielen Krisen erschüttert. Die Nachrichten bringen uns jede Schulschießerei in unsere Wohnzimmer, in der Politik scheint oft nicht mehr Besonnenheit Auswahlkriterium zu sein, sondern die Fähigkeit zur Panikmache vor Klima, Krieg, Hitze und Viren. Und in der Wirtschaft ist klar, dass die Künstliche Intelligenz Millionen von Arbeitsplätzen verändern wird. Der Druck, schnell zu lernen und sich an immer neue Herausforderungen anzupassen, wird immer höher.
Um da nicht nur mitzuhalten, sondern sogar gut für sich zu sorgen, braucht man gutes Selbst- und Emotionsmanagment.
Es gibt vier Emotionen, die wir für innere Stärke besonders brauchen.
- Gesunder Stolz
Stolz ist in christlichen Kreisen ein heikles Wort. Oft meint man damit die arrogante Haltung, man sei besser als andere und brauche weder Gott noch Mitmenschen. In anderen Sprachen und in der Wissenschaft unterscheidet man jedoch zwischen arrogantem Stolz und der gesunden Freude über erbrachte Leistung.
Wenn wir uns in neue Herausforderungen begeben, werden wir Unzulänglichkeiten spüren. Dann brauchen wir, statt uns für jeden Fehler anzuklagen, auch Wertschätzung für unsere Anstrengung – selbst wenn das Ergebnis nicht immer glänzend ausfällt. Am Ende jedes Schöpfungstages schaute Gott sich alles an, was er gemacht hatte und sagte: „Das war gut.“
Gesunder Stolz entwickelt sich besonders, wenn wir auf die Lebenselemente Produktivität und Energie achten. Wenn wir Stolz empfinden, schüttet unser Körper Testosteron aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Das ist das Hormon, das wir brauchen, um uns mutig an Aufgaben heranzuwagen.
Reflexions-Tipp: Welche drei Dinge haben Sie kürzlich gut gemacht?
- Sicherheit
Das Gefühl von Sicherheit ist besonders wichtig., weil es uns angesichts von Nachrichten und schnellen Veränderungen häufig fehlt. Wir brauchen das Gefühl von Sicherheit in der Umgebung, in unserem Besitz, unserer Gesellschaftsform. Die meisten Menschen spüren Sicherheit an vertrauten Orten oder in den eigenen vier Wänden.
Sorgen wir für ausreichend für die Lebenselemente produktive Reflexion (nicht Grübeln!) und Struktur, nimmt unser Gefühl von Sicherheit zu. Wenn wir uns sicher fühlen, sinkt das Stresshormon Cortisol ab. Angst nimmt ab und unser Denken wird klarer, wir können Aufgaben mit mehr Leichtigkeit und weniger Verkrampfung angehen.
Tipp: Räumen Sie auf. Studien haben gezeigt: Unordnung löst Stress aus, selbst dann, wenn man gelernt hat, das Chaos auszublenden. Eine geordnete Umgebung signalisiert uns: Ich habe die Dinge im Griff. Das schenkt Sicherheit. Eine Stunde Aufräumen kann manchmal mehr dazu beitragen, Sicherheit wiederzugewinnen, als eine Stunde Coaching.
- Verbundenheit
Einsamkeit, sich alleine abkämpfen müssen, erleben wir emotional als bedrohlich. Wir brauchen das Empfinden von Verbundenheit, um entspannen und uns sozial sicher zu fühlen. Verbundenheit kann sich auf Gott beziehen („Ich bin sein Kind!“), auf Menschen – meine Familie, Freunde, Kollegen, mein Dorf, mein Land, meine Heimat. Sogar die Natur kann das Gefühl von Verbundenheit und Zugehörigkeit auslösen. Vögel, Sonnenuntergänge, Wald und Bäume…
Erleben wir die Lebenselemente Ruhe und Verbundenheit mit Gott, mit Menschen oder mit der Natur, dann fühlen wir uns weniger allein. Und unser Körper flutet uns mit dem Glückshormon Oxytocin. Schon ein Lächeln schenkt ein bisschen dieses Bindungshormons – und zwar sowohl dem, der es sendet, als auch dem, der es empfängt. Oxytocin sorgt neben dem angenehmen Gefühl auch dafür, dass Schmerzen sich reduzieren.
Tipp: Planen Sie ausreichend Zeit mit einem Menschen, mit dem Sie sich verbunden fühlen. Oder in der Natur.
- Leichtigkeit und Staunen
Wir fokussieren häufig auf das, was nicht geht, was fehlt, auf die To-dos, die wir noch nicht geschafft haben. Wir sind von Natur aus so geprägt, dass wir das Negative doppelt so intensiv wahrnehmen wie das Positive. Das ist im Dschungel überlebensnotwendig. Dort ist es wichtiger, nicht gefressen zu werden, als die Blumen zu bewundern.
Angesichts vieler Negativnachrichten brauchen wir die Lebenselemente Feiern (Spaß) und Vision. Feiern heißt, das Besondere betonen. Das Besondere kann ein Erfolg sein oder etwas, das man geschenkt bekam.
Der Mensch ist für das Staunen und die Anbetung geschaffen. Wenn wir Ideen entwickeln oder etwas feiern, bestaunen oder genießen, schüttet unser Körper die Glückshormone Dopamin und Serotonin aus – wir spüren Leichtigkeit oder auch Ehrfurcht. Das bekämpft nebenbei auch noch Entzündungen im Körper. Das Objekt des Staunens muss gar nicht so groß sein – Hauptsache das Staunen ist groß.
Selbstfürsorge durch Fühlen
Viele Coaches empfehlen, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen und täglich drei neue Dinge zu finden, für die man dankbar ist. Das ist sinnvoll. Dankbarkeit stärkt Verbundenheit und sorgt für Ausschüttung von Oxytocin – auch wenn man sich „nur“ an Dinge erinnert, die wohltuend waren.
Doch wenn man sich rundum gut fühlen möchte, macht es Sinn, alle vier stärkenden Emotionen regelmäßig zu fühlen. Etwa, indem man sich abends fragt: Wann habe ich heute Stolz, Sicherheit, Verbundenheit und Leichtigkeit gespürt? Und die Erinnerungen und Gefühle etwa 20 Sekunden zu spüren, dann wird das Gehirn mit den positiven Hormonen geflutet.
Tipp: Nutzen Sie Wartezeiten. Statt aufs Handy zu schauen, machen Sie eine Runde gute Gefühle. Das entspannt und stärkt.
Selbstfürsorge durch Handeln
Der andere, etwas handfestere Weg der Selbstfürsorge ist, durch Handeln zu den Gefühlen zu kommen, die uns guttun.
Die Lebenselemente Energie und Produktivität führen zu mehr Stolz. Struktur und Reflexion führen zu mehr Sicherheit. Ruhe und Verbundenheit mit Gott, Natur und Menschen stärken das Gefühl von Zugehörigkeit und Verbundenheit. Und schließlich führen Feiern und Vision zu Leichtigkeit und Staunen. Sie können das auf viele verschiedene Weisen ausleben. Gute Selbstfürsorge heißt, dafür zu sorgen, dass alle Lebenselemente regelmäßig zum Zuge kommen.
Tipp: Sie können mit einem Test, den ich entwickelt habe, herausfinden, welches Lebenselement Ihnen gerade am meisten fehlt: https://down-to-earth.de/gratis
Kerstin Hack, Jahrgang 1967, lebt auf einem Hausboot in Berlin arbeitet als Autorin, Trainerin und Coach. Sie bietet Bücher, Kurse und Trainings rund ums Thema Leben und Arbeiten in Balance. Aktuell entwickelt den Turbo Club, ein Coachingprogramm für Selbständige und Führungskräfte, die erfolgreich sein und gleichzeitig ausgewogen leben wollen.