Eigentlich gilt das neue deutsche Lieferkettengesetz nur für Firmen ab 3.000 Mitarbeiter. Tatsächlich sind mittelfristig nahezu alle Unternehmen davon betroffen. Worum es dabei geht, entfaltet im Folgenden eine Juristin und Compliance-Expertin.

 

Von Elke Wurster

Sie trinken gerne Tee? Steht vielleicht sogar jetzt gerade die Teekanne vor Ihnen? An diesem Produkt kann die Relevanz der Menschenrechte in der Lieferkette besonders gut illustriert werden:  Kürzlich wurde eine schockierende Reportage über Teeplantagen in Kenia veröffentlicht: Dort werden Arbeiterinnen offenbar von ihren Vorgesetzten zum Sex gezwungen. „Sex for work“.

Kaffeetrinker können sich ebensowenig bequem zurücklehnen: Auch der Anbau von Kaffee ist von Ausbeutung und Kinderarbeit geprägt. Das sind nur zwei Beispiele aus unserem Alltag als Verbraucher, die die Relevanz der Lieferkette und der Bedingungen in der Lieferkette deutlich machen. Anhand unzähliger anderer Produkte und Rohstoffe könnte man diese Liste noch fortführen wie etwa Baumwolle, Seltene Erden, Gold, Diamanten, Kleiderproduktion usw.

Globale Lieferketten sind für einen Großteil des weltweiten Wirtschaftswachstums und der Entwicklung verantwortlich. Sie ermöglichen uns erst, manche Rohstoffe zu beziehen oder Produkte herzustellen – gleichzeitig bergen sie aber auch erhebliche Risiken für die Menschenrechte. Lieferketten können lang und undurchsichtig sein, was die Verfolgung und Überwachung von Arbeitsbedingungen, Arbeitspraktiken und Umweltauswirkungen erschwert. Dieser Mangel an Transparenz und Rechenschaftspflicht erleichtert Ausbeutung, Missbrauch und sonstige Menschenrechtsverletzungen.

 

Verflechtungen Deutschlands

 

Gerade deutsche Unternehmen sind international besonders verflochten: Rohstoffe werden international beschafft, produziert wird in Billiglohnländern und die Exportquote belief sich 2021 in Deutschland auf 47,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes[1].

Skandale in den globalen Lieferketten führten dazu, dass das öffentliche Bewusstsein für die Schattenseiten der Globalisierung wuchs, wie beispielsweise im April 2013, als in Bangladesch mehr als 1.100 Menschen bei einem Zusammensturz der Textilfabrik Rana Plaza starben. So trat die Verantwortung für die Bedingungen in der Lieferkette stärker in den Fokus.

 

Staaten verpflichteten sich zuerst

 

Am 11. Juni 2021 vom Bundestag verabschiedet, trat das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, LkSG) am 1. Januar 2023 in Kraft. Ist es das erste seiner Art? Diese Frage ist mit einem klaren „Jein“ zu beantworten. Nein, da Lieferkettensorgfaltspflichtenrecht grundsätzlich nichts Neues ist. Es begann mit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO, engl. International Labour Organization, ILO), die nach dem ersten Weltkrieg gegründet wurde. Ihre Verfassung fußt auf der Feststellung, dass soziale Gerechtigkeit für einen dauerhaften Weltfrieden notwendig ist und stellt damit bereits auf die globale Bedeutung sozialer Gerechtigkeit ab.

Aufgrund der niedrigen Ratifizierungsrate der 181 ILO-Übereinkommen und ihrer damit geringen Effektivität haben die Mitgliedstaaten der ILO 1998 ohne Gegenstimme (!) die „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ angenommen. In dieser Erklärung verpflichten sich alle Mitglieder qua ihrer Mitgliedschaft in der ILO zur Einhaltung der vier sogenannten ILO-Kernarbeitsnormen (Vereinigungsfreiheit und Recht zu Kollektivverhandlungen, Beseitigung von Zwangs- oder Pflichtarbeit, Abschaffung von Kinderarbeit und Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigungsverhältnissen). Damit waren die ersten verbindlichen Vorschriften zu Rechten von Arbeitnehmern in der Arbeitswelt geschaffen – verpflichtend allerdings nur für die Staaten. Dies gilt auch für die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte vom Juni 2011, deren verpflichtete Adressaten lediglich die Staaten waren; die darin ebenfalls erwähnten Grundsätze für die Verantwortung von Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte sind allerdings nicht rechtsverbindlich.

 

Kritische Rohstoffe

 

Verpflichtungen unmittelbar für Unternehmen enthalten dagegen europäische Verordnungen, die Regeln zur Beschaffung von menschenrechtlich besonders kritischen Rohstoffen zum Gegenstand haben: die Holzhandelsverordnung für Marktteilnehmer, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen, sowie die Konfliktmineralienverordnung für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass es schon seit fast hundert Jahren Regeln über Menschenrechte im Arbeitsumfeld gibt, deren Regelungsadressaten aber primär Staaten sind; nur in sehr geringem Maße sind sie von Unternehmen verpflichtend einzuhalten.

 

Menschenrechte und Umwelt

 

Worum geht es im LkSG? Das Gesetz regelt unternehmerische Sorgfaltspflichten im Hinblick auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken, die sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch in der eigenen Lieferkette angemessen adressiert werden müssen. Ziel ist es, Verstöße gegen die aufgeführten Verbote zu vermeiden, zu minimieren oder im Falle ihres Eintritts schnellstmöglich zu beenden.

Auf der Basis der internationalen Übereinkommen, in denen die Menschenrechte niedergeschrieben sind, nennt das LkSG eine Auswahl lieferkettentypischer menschenrechtlicher Risiken. Zu den elf aufgeführten Verboten gehören unter anderem das Verbot von Kinderarbeit, Sklaverei, Folter und Zwangsarbeit, von Diskriminierung, das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns, der Missachtung der Koalitionsfreiheit, des Landraubs sowie der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung oder Gewässerverunreinigung.

 

Hinzukommen einzelne Umweltschutzpflichten, und zwar solche, bei deren Missachtung besondere Risiken für die menschliche Gesundheit drohen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um den Umgang mit Quecksilber und persistenten organischen Schadstoffen sowie die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen. Diese Risiken stehen im Fokus des LkSG.

 

Entscheidend ist „Angemessenheit“

 

Die entsprechenden Sorgfaltspflichten müssen „in angemessener Weise“ beachtet werden. Ausdrücklich genanntes „Ziel“ des Gesetzes ist die Vorbeugung, Minimierung und im letzten Schritt Beendigung der Verletzung der vom Gesetzgeber ausgewählten menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflichten. Das Wort „angemessen“ wird im LkSG 17 Mal im Zusammenhang mit den von den Unternehmen zu ergreifenden Sorgfaltspflichten verwendet. Dieses Leitbild des Gesetzes, wonach also gerade kein Erfolg geschuldet ist, sollte bei der Umsetzung in den Unternehmen immer berücksichtigt werden. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das das LkSG umsetzt und dem die Kontrolle obliegt, ob die betroffenen Unternehmen die gesetzlichen Sorgfaltspflichten erfüllen, die Angemessenheit ebenfalls als oberste Prämisse seinen Prüfungen zugrunde legt.

Im Einzelnen muss das „LkSG Management System“ die folgenden Bestandteile enthalten:

  • Risikomanagement nebst Risikoanalyse und Definition von Zuständigkeiten

Das Ziel des (wiederum angemessenen und) wirksamen Risikomanagements ist es, menschenrechtliche und umweltbezogene Pflichtverletzung innerhalb des eigenen Geschäftsbereichs des Unternehmens und in seiner Lieferkette zu erkennen, zu minimieren, zu verhindern und zu beenden. Ein Element des Risikomanagements ist die Risikoanalyse.

Mittels jährlicher (!) sowie anlassbezogener, angemessener Analyse hat das Unternehmen zu ermitteln, welche vom LkSG abgedeckten Risiken sowohl in seinem eigenen Geschäftsbereich als auch bei seinen mittelbaren Zulieferern bestehen. Außerdem ist im Unternehmen die Zuständigkeit für die Überwachung des Risikomanagements zu definieren. Dafür kann beispielsweise ein Menschenrechtsbeauftragter ernannt werden. Dies muss nicht eine natürliche Person sein, auch ein Gremium kann diese Funktion übernehmen.

  • Abgabe einer Grundsatzerklärung zur Darstellung der Menschenrechtsstrategie

 

Auf der Basis der Ergebnisse der Risikoanalyse hat das Unternehmen eine Menschenrechtsstrategie zu entwickeln, die in einer sogenannten Grundsatzerklärung zu beschreiben ist, die das Unternehmen sodann öffentlich zugänglich zu machen hat, etwa durch Veröffentlichung auf der Internetseite.

 

  • Präventionsmaßnahmen

 

Die Umsetzung der Menschenrechtsstrategie stellt eine der geforderten Präventionsmaßnahmen dar. Unternehmensintern müssen die relevanten Geschäftsabläufe identifiziert und konkrete Maßnahmen definiert werden, wie den Risiken begegnet wird.

Im Beschaffungsprozess ist Teil einer angemessenen Prävention, dass menschenrechts- und umweltbezogene Erwartungen die Auswahl der unmittelbaren Zulieferer beeinflussen, diese die Einhaltung dieser Erwartungen zusichern und in ihrer eigenen Lieferkette angemessen adressieren sowie schließlich diese Einhaltung von ihrem Auftraggeber auch überprüfen lassen.

  • Abhilfemaßnahmen

Ziel der Abhilfemaßnahmen ist die Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden, die Beendigung oder zumindest Minimierung einer bereits eingetretenen Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht. In diesem Zusammenhang ist gesetzlich ausdrücklich geregelt, dass der Abbruch einer Geschäftsbeziehung nur ausnahmsweise geboten ist. Primär zielen die Maßnahmen auf die Beendigung der Verletzung, da nach der Beendigung der geschäftlichen Beziehungen keinerlei Einflussnahme auf Arbeitsbedingungen vor Ort mehr möglich ist und diese damit auch nicht (mehr) verbessert werden können.

  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens

Beschäftigten und externen Dritten muss eine Möglichkeit eingeräumt werden, Hinweise auf menschenrechts- oder umweltbezogene Risiken und Verstöße abzugeben. Zu diesem Zweck muss in den Unternehmen ein entsprechendes Beschwerdeverfahren vorhanden sein, das möglichst niederschwellig und barrierefrei zur Verfügung steht. Dies kann zum Beispiel über eine spezielle E-Mail-Adresse oder ein Hinweisgeberportal erfolgen.

  • Dokumentation einschließlich Berichterstattung

Schließlich haben die Unternehmen die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten zu dokumentieren und darüber zu berichten. Dafür hat das BAFA einen elektronischen Fragebogen vorgesehen, der von den Unternehmen auszufüllen, beim BAFA einzureichen und schließlich auf der unternehmenseigenen Intranetseite zur Verfügung zu stellen ist.

Verpflichtete nach dem Gesetz

 

Seit seinem Inkrafttreten gilt das LkSG derzeit für Unternehmen mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz oder satzungsmäßigem Sitz in Deutschland, sofern sie in der Regel in Deutschland mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 gilt hierfür der Schwellenwert von 1.000 Arbeitnehmern (hiervon gab es im Mai 2022 in Deutschland 2.315), so dass sich der unmittelbare Anwendungsbereich noch einmal vergrößern wird.

Allerdings hat das Gesetz einen erheblichen mittelbaren Anwendungsbereich: Da die direkt verpflichteten Unternehmen im Rahmen ihrer angemessenen Präventionsmaßnahmen von ihren unmittelbaren Zulieferern die Zusicherung verlangen müssen, dass diese die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen selbst einhalten und ihrerseits entlang der Lieferkette angemessen adressieren, führt dies letztendlich zu einer weitaus größeren Relevanz des LkSG. Es ist davon auszugehen, dass die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette durchgereicht werden, unabhängig von der Größe der involvierten Unternehmen. Aus diesem Grund können sich auch kleinere Unternehmen nicht bequem zurücklehnen, sondern müssen sich mit den Anforderungen an angemessene unternehmerische Sorgfaltspflichten im Hinblick auf menschenrechts- und umweltbezogene Risiken auseinandersetzen und diese einhalten.

Einfluss nutzen

 

Ja, das LkSG stellt Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen. Ja, es vergrößert Bürokratie und die Anzahl der einzuhaltenden unternehmensinternen Prozesse.  Und dennoch: Wer die Vorteile der Lieferkette nutzt, von dem kann erwartet werden, seinen Einfluss in der Lieferkette zum Guten geltend zu machen. Am Ende kann es auch uns Verbrauchern nicht egal sein, wie etwa unser Tee oder Kaffee hergestellt wird. Oder schmeckt Ihnen Ihre Tasse Tee noch, wenn die reale Gefahr besteht, dass die Teepflückerin zum Sex gezwungen wurde, um den Job zu erhalten?

 

 

 

Elke Wurster leitet bei der TÜV SÜD AG die globale Compliance-Abteilung und verantwortet das konzernweite Compliance Management System. Als Rechtsanwältin berät sie Unternehmen in allen Fragen rund um Compliance, einschließlich des Aufbaus von Compliance-Management-Systemen und der Schulung der Mitarbeiter. Beim Kongress christlicher Führungskräfte (www.kcf.de) in Berlin hält sie am 27. April ein Seminar zum Lieferkettengesetz.

[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/7060/umfrage/anteil-der-exporte-von-waren-am-bip-in-den-eu-laendern/