Wer meint, ein Leben im Glauben an Gott sei immer himmelhochjauchzend, hat die Bibel nicht gelesen. Zu den ernüchterndsten Schriften darin gehört das Buch Kohelet (Prediger). Aber gerade dort finden sich tiefe Einsichten für ein gelingendes Leben.

 

Von Torsten Uhlig

 

 

Wenn die Sonne aufgeht, ist die Nacht vorüber, ein neuer Tag beginnt, und wenn wir es an uns heranlassen, stellt sich damit immer auch die Frage: Was mache ich aus diesem Tag – und was macht dieser Tag mit mir? Wenn die Sonne aufgeht, steht die Frage: Wie kann und wie will ich leben?

 

Ich möchte an dieser Stellte auf einen Text in der Bibel hinweisen, der nur selten betrachtet wird, aber genau diese Frage in aller Konsequenz angeht. Es handelt sich um das Buch eines gewissen „Kohelet“, den Martin Luther mit Prediger übersetzt hat. Dieser Kohelet fragt sich angesichts der Vergänglichkeit von allem, welchen Stellenwert die Arbeit und überhaupt das Leben haben: Welchen Gewinn hat der Mensch bei aller Arbeit, mit der er sich unter der Sonne abmüht? (Kohelet 1,3)

 

Was Kohelet dabei tut und bemerkt, möchte ich hier als „4 Richtige“ zusammenfassen, die helfen können, dass uns ein heilvolles Leben gelingt. Vier Gegenstände können uns helfen, vier hilfreiche Haltungen für ein gelingendes Leben einzuüben.

 

Nr. 1: Eine Brille zum genauen Hinsehen

 

Die erste bemerkenswerte Haltung von Kohelet besteht darin, dass er genau hinsieht. Er macht nicht die Augen zu vor den Rätseln, Ungerechtigkeiten, Unglücken und dem Misslingen. Wenn die Sonne aufgeht, gibt es viel zu sehen. Und Kohelet schaut da genau hin. Gerade damit aber ist Kohelet uns sehr nah: Nie prasselte so viel auf uns ein; nie gab es so viel zu sehen. Und das so einfach, so unbegrenzt. Inzwischen kriegt man schneller mit, wenn in China ein Fahrrad umfällt, als der Kirschbaum beim Nachbarn.

 

Was Kohelet dabei realistisch bemerkt: Nichts hat Bestand. Wo immer er hinsieht, überall bleiben Rätsel, tun sich Grenzen auf. Ob es der Sinn und der Bestand von Arbeit und Besitz ist (Kohelet 2,4-11), ob es der Nutzen von Wissen im Unterschied zur Dummheit ist (Kohelet 2,14-15), überall setzt der Tod für alle eine Grenze. Kohelet sieht auch auf die unerträgliche Unterdrückung, aus der niemand hilft (Kohelet 4,1), und ist für die Ungerechtigkeiten nicht blind, die vielfach einfach hingenommen werden (Kohelet 5,7). Kohelet spart aus seinem ehrlichen Blick auch Gott und sein rätselhaftes Tun nicht aus (Kohelet 8,14-17). Und schließlich merkt er: Man kann sich noch so anstrengen, noch so kompetent sein. Manches gelingt einfach nicht, ohne dass wir wissen, warum (Kohelet 9,11; 10,8-9).

 

Dies und noch mehr schaut sich Kohelet genau an. Es sind Alltagserfahrungen, die man sieht, wenn die Sonne aufgeht, und er fragt sichWas lohnt sich überhaupt zu tun? Wofür lebe ich, wenn ich so ehrlich hinsehe? Auch für uns heute ist das eine Herausforderung. Lieber lenken wir uns ab. Oder ich erlebe immer wieder Christen, die meinen: „Es reicht, wenn ich die Bibel habe. Alles andere ist egal.“ Und dann schauen sie nicht mehr hin. Sie blenden aus, was nicht ins eigene Bild passt oder zu kompliziert wird.

 

Aber Glaube geschieht nicht im Wegsehen von den Problemen, anderen Meinungen oder widersprüchlichen Nachrichten. Glaube bewährt sich gerade angesichts der Rätsel, der Not, der Ausweglosigkeit, die man sieht, wenn man hinsieht. So, wie Abraham sein hohes Alter gesehen hat, Mose und das Volk das bedrohliche Wasser vor Augen hatten, David auf Goliath gezielt hat und seine bedrohliche Statur genau wahrnahm.

 

Natürlich kann einen das an Grenzen führen und überfordern. Man kann resignieren und untätig werden. Man kann den Halt und jedes Ziel verlieren. Man kann verbittern und zynisch werden. Schauen wir genau hin, welche Hilfe wir dabei mit Kohelet und den weiteren „Richtigen“ finden.

 

Nr. 2: Ein Spaten – zum richtig Zupacken

Nach dem genauen Hinsehen finden wir das richtig Zupacken, statt resigniert untätig zu werden. Dafür könnte ein Spaten stehen, aber es ließen sich alle möglichen anderen Tätigkeiten einsetzen, denen wir nachgehen: die Tastatur für die Büroarbeiten, der Kalender oder das Smartphone für die Organisation der Termine…

 

Was immer wir sehen, letztlich gehört es mit zum Leben anzupacken, zu arbeiten. Das verliert Kohelet nicht aus dem Blick: „Was immer deine Hand zu tun bekommt, das tu mit deiner ganzen Kraft!“ (Koh 9,10) Der Prediger ermutigt damit zu einem ganz nüchternen Gestalten des eigenen Lebens – an dem Platz, wo wir sind, und mit den Mitteln, die wir haben.

 

Natürlich ist das zunächst einmal mit Mühe verbunden, weil wir uns damit vor allem den Lebensunterhalt erarbeiten müssen. Aber mitten in der Mühe können wir auch etwas von uns ganz persönlich einbringen – und an der Stelle, wo wir sind, etwas von Gottes Segen aufblitzen lassen. Wenn Gott sich um jeden Regenwurm, jeden Spatz und jeden Löwenzahn kümmert, dann lässt sich auch in jeder Arbeit, die wir tun, etwas von Gottes Segen und Gegenwart weitergeben. Im Büro, im Meeting, bei Verhandlungen, in Personalgesprächen, am Kopierer, usw.

 

Stellt sich die Frage, über die auch professionelle Bibelausleger grübeln: Wie passt das zusammen? Genau hinsehen, Sinnlosigkeiten und Überforderung wahrnehmen – und doch gleichzeitig dazu ermutigen, zuversichtlich anzupacken?

 

Nr. 3: Klebstoff – für den festen Halt

Das ist für Kohelet ein langer Weg. Er gerät dabei auch in manche Sackgasse. Doch schließlich erkennt er: Ein heilvolles Leben gelingt mir nicht, wenn ich auf mich allein gestellt klug werden will. Autonomie führt in die Sackgasse. Kompetent fürs Leben werde ich dann, wenn ich guten Halt finde – und mein Herz an Gott klebe. Kohelet verwendet dafür die Selbstermutigung: „Fürchte den Herrn!“. Mit diesem Halt kann er die beobachteten Spannungen aushalten und sowohl genau hinsehen als auch richtig anpacken.

 

Das haben wir im Glauben. Dafür können wir unseren Alltag mit Gott zusammen gestalten:

Gerade weil im Leben nicht alles so leicht und schön aufgeht…

Gerade weil wir uns von manchen Entscheidungen mehr erhofft hatten…

Gerade weil manchmal die, die sich für andere so aufopfern, doch immer noch eins drauf kriegen…

Gerade weil manche schon zum vierten oder siebten Mal einen erneuten Versuch starten – und wieder wird es nichts…

 

„Fürchte Gott!“ Kleb Dich an Gott fest. Er ist mit Dir. Er gibt Deinem Leben Halt! Er fügt Dich in eine größere Geschichte, die wir allein mit unseren Augen nie in den Blick bekommen. Er eröffnet Dir ein Ziel, das kein Mensch sich austräumen kann: In Jesus Christus ist dieses Ziel schon erreicht, ist der Weg schon eröffnet, ist die Tür aufgestoßen, die für alle Menschen die große Grenze des Lebens ist.

 

Nr. 4: Eine Grillzange zum fröhlichen Feiern

Schließlich lässt sich mit Kohelet entdecken, wie wir auch nicht verbittern: indem wir miteinander feiern und fröhlich sind (Kohelet 11,8-10; 12,1). Dafür steht der vierte Gegenstand, eine Grillzange.

Wenn wir feiern, halten wir zwei ganz wichtige Orientierungspunkte fest: die Freude und die Erinnerung. Darin mündet der Weg des Predigers/Kohelets. Wo, wenn nicht beim Feiern, können wir uns freuen und miteinander die Erinnerungen teilen, die uns tragen? Miteinander grillen und im Zusammensein sich freuen und erinnern. Das hilft gegen Verbitterung und lässt uns den Klebstoff finden für unsere Verbindung zu Gott. Es lässt uns Kräfte sammeln zum Anpacken und hält uns so kritikfähig, dass wir immer wieder genau hinsehen.

 

Darin besteht ein großer Unterschied zu dem großen Glaubensbekenntnis unserer Zeit. Denn das sagen doch viele: „Genieß das Leben heute, denn morgen sind wir tot!“ Im Sinne von: „Lass es krachen, denn es gibt kein Morgen!“ Sie meinen damit vor allem: Konsumiere, so viel wie geht! Für Kohelet soll in der Festfreude aufscheinen, was uns als Menschen und Geschöpfe von Anfang an von Gott geschenkt ist: Gott hat Dich gesegnet. Er hat Dich gewollt, erschaffen, mit verschiedenen Gaben und auch Grenzen beschenkt. Dies gilt es zu entdecken und zu leben und zu feiern. Und das nicht für Dich oder für mich allein – wer kann schon allein feiern? Mit Kohelet wollen wir diese Festfreude so leben, dass wir miteinander entdecken, was Gott uns geschenkt hat! Dass wir auch da genau hinsehen! Dass wir dabei einander zum Segen werden.

 

Mit wenigen Worten…

Wenn die Sonne aufgeht…geht es darum, dass uns ein heilvolles Leben gelingt. Mit dem Prediger haben wir dafür einige realistische und ehrliche Hilfestellungen entdecken können:

 

  • dass wir unerschrocken und kritikfähig genau hinsehen – wie mit einer Brille
  • dass wir nicht resigniert tatenlos werden, sondern richtig anpacken – wie mit einem Spaten
  • dass wir nicht haltlos und ziellos umherirren, sondern unser Herz richtig bei Gott festmachen – wie mit Klebstoff
  • und somit nicht verbittern, sondern feiern (ob mit Grillzange oder vielleicht doch lieber mit einem richtig guten Tropfen und dazu guter Musik).

 

 

 

 

Torsten Uhlig, Jahrgang 1975, studierte Evangelische Theologie in Leipzig, promovierte in Großbritannien, wirkte für acht Jahre als Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und ist seit 2015 Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor. Er ist verheiratet mit Beate, sie leben mit ihren drei Kindern in Marburg.