Peinlicher Vorfall

06.09.2021

1929 – Weltliteratur
Kennen Sie Alfred Döblin? Der gebürtige jüdische Literat landete 1929 seinen größten Hit: „Berlin Alexanderplatz“, vielleicht mit „Ulysses“ von James Joyce einer der beiden größten Großstadtromane der Weltliteratur. Schon auf dem Cover seines Romans gab Döblin eine Zusammenfassung seines Buches. Sie lautete im Original folgendermaßen:

„Von einem einfachen MANN wird hier erzählt, der in Berlin am Alexanderplatz als Straßenhändler steht. Der MANN hat vor, anständig zu sein, da stellt ihm das Leben hinterlistig ein Bein. Er wird betrogen, er wird in Verbrechen hineingezogen, zuletzt wird ihm seine BRAUT genommen und auf rohe Weise umgebracht. Ganz aus ist es mit dem MANN FRANZ BIBERKOPF. Am Schluss aber erhält er eine sehr klare Belehrung: MAN FÄNGT SEIN LEBEN NICHT AN MIT GUTEN WORTEN UND VORSÄTZEN, MIT ERKENNEN UND VERSTEHEN FÄNGT MAN ES AN UND MIT DEM RICHTIGEN NEBENMANN. Ramponiert steht er zuletzt wieder am ALEXANDERPLATZ, das Leben hat ihn mächtig angefasst.“

1941 – Vom Juden zum Katholiken
Auch mit diesem Roman katapultierte sich Döblin zu den literarischen Lichtgestalten seiner Zeit. Aus einer Radiosendung stammt nun folgende Schilderung:
Der Zweite Weltkrieg beginnt. Im September 1940 emigrieren die Döblins von Lissabon aus nach Amerika. Der Schriftsteller arbeitet vorübergehend als Drehbuchschreiber in Hollywood, wird entlassen und gerät ähnlich wie in seinen Kinderjahren in Armut. Zum 65. Geburtstag Döblins, des von allen Seiten bewunderten Dichters, laden am 14. August 1943 andere emigrierte Künstler wie Thomas Mann, Bertold Brecht und Hans Eisler zu einer Feier. In einem kleinen Theater in St. Monica, Kalifornien, hält Döblin die Dankesrede. Als er der Runde eröffnet, er habe zum christlichen Glauben gefunden, er sei vor zwei Jahren mit seiner Frau konvertiert und nun Katholik, kommt es zum Eklat. Einige Gäste verlassen empört den Saal. „Ich schäme mich für ihn“, erklärt Bertold Brecht später. (https://www.deutschlandfunk.de/der-dichter-alfred-doeblin-zwischen-gott-und-alexanderplatz.2540.de.html?dram:article_id=484993)

1943 – „Peinlicher Vorfall“
Bertold Brecht war wie vor den Kopf gestoßen. Er schrieb als Reaktion kurz darauf das Gedicht „Peinlicher Vorfall“:
Als einer meiner höchsten Götter seinen 10 000. Geburtstag / beging, / Kam ich mit meinen Freunden und meinen Schülern, ihn zu feiern. […] / Die Stimmung war gerührt. Das Fest nahte seinem Ende. / Da betrat der gefeierte Gott die Plattform, die den Künstlern gehört, / Und erklärte mit lauter Stimme, / Dass er soeben eine Erleuchtung erlitten habe und nunmehr / Religiös geworden sei, und mit unziemlicher Hast / Setzte er sich herausfordernd einen mottenzerfressenen Pfaffenhut auf / Ging unzüchtig auf die Knie <nieder und stimmte / Schamlos ein freches Kirchenlied an, so die irreligiösen Gefühle / Seiner Zuhörer verletzend, unter denen / Jugendliche waren. / Seit drei Tagen / Habe ich nicht gewagt, meinen Freunden und Schülern / unter die Augen zu treten, so / Schäme ich mich. (gefunden bei https://www.jesuiten.org/news/irreligioese-gefuehle)

2021 – Verletzung der irreligiösen Gefühle
Während man vor nicht allzu langer Zeit davon sprach, dass es z. B. bei der Diskussion um ein Tanzverbot am Karfreitag oder bei Karikaturen von Jesus oder dem Papst um die Verletzung der „religiösen Gefühle“ der Gläubigen ging, dreht sich der Wind: Nun beschweren sich z. B. Nichtglaubende, dass bei einer Werbekampagne von Bibelversen im ÖPNV ihre „irreligiösen Gefühle“ verletzt seien und sie so etwas in Bus und Bahn nicht sehen wollten. Bertold Brecht lässt grüßen.

35 n. Chr. – Redeverbot
Petrus und Johannes, zwei der Jünger von Jesus, halten Straßenpredigten in Jerusalem. Die Religionsaufseher sammeln sie ein, setzen sie für eine Nacht fest und erteilen ihnen nach einer Anhörung Redeverbot. Das aber ist für die beiden unrealistisch. So kontern sie: „Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“ (nachzulesen in Apostelgeschichte 4,20). Man lässt sie notgedrungen gehen. Mit diesem Satz aber haben die beiden einen USP der Christen proklamiert, der bis heute Bestand hat. Vielleicht heute wieder mehr denn je. Erzählen wir, was wir „gehört und gesehen“ haben. Einladend – und darauf vertrauend, dass Menschen ermutigt werden, Jesus Christus Vertrauen zu schenken. So wie bei Petrus und Johannes.

Michael vom Ende, Geschäftsführer bei faktor c