Ich kann total gut Mitmenschen umgehen.

17.07.2020

Ich liebe sie, diese hintergründigen Sprüche. „Ich kann total gut Mitmenschen umgehen. – Warum Orthographie wichtig sein kann.“, „Fehlender Wortschatz ist schon ein kleines Mango.“ oder „Es wird Tote geben – Wie ein Rechtschreibfehler dazu geführt hat, dass niemand zu meinem 9. Geburtstag kam.“ Sie zeugen von Kreativität, vernetztem Denken und einem spielerischen Umgang mit Worten und Situationen.

Aber bei diesem Satz kam ich bei allem Schmunzeln doch ein wenig ins Grübeln: „Ich kann total gut Mitmenschen umgehen.“ Geschrieben ist der Satz eindeutig, gesprochen eindeutig doppeldeutig! Komisch, wie kleine Veränderungen den Sinn komplett ins Gegenteil verdrehen können. Und erstaunlich, welche irritierenden Selbstaussagen herauskommen können. Wer würde schon so negativ über sich selbst urteilen, was den Umgang mit anderen angeht?

Da saß er, der blinde Bettler Bartimäus, am Straßenrand in Jericho/Israel. Davon berichtet der Evangelist Markus im Neuen Testament (Markus 10). Er tut, was er gut kann: Er hört. Er hört, dass Jesus von Nazareth in der Nähe ist und wittert seine Chance. Er spricht, er ruft, er schreit seine Hoffnung heraus, dass dieser Mann ihm helfen kann. Und die Leute?

Die Leute – sie können total gut „Mitmenschen umgehen“, auch wenn sie das vermutlich weit von sich weisen würden. Sie haben sich mit ihm und seiner ausweglosen Situation arrangiert, haben ihn in ihr Straßen- und Gesamtbild integriert, ihn damit faktisch ignoriert und ihren Umgang mit ihm perfektioniert. Deswegen sind sie so aufgebracht, dass er jetzt diesen Konsens, die eingespielten Abläufe, die beruhigende Geräuschkulisse mit seinem Schreien stört.

Wie wir mit Menschen umgehen, zeigt wie und ob sie uns wichtig sind. Dringt die Hilfsbedürftigkeit anderer überhaupt noch bis zu uns durch? Gehen wir mit ihnen um oder umgehen wir sie? Eine unangenehme, aber hilfreiche Frage. Die Leute hatten bei Bartimäus die Hoffnungslosigkeit zementiert, bei Jesus zerbröselt sie. Jesus kann „total gut mit Menschen umgehen“. Und er ist damit genau das Gegenteilen von denen, die „total gut Mitmenschen umgehen.“ Und wir?

Dabei erinnere ich mich an das alte Spiritual der amerikanischen Sklaven „De Blind Man Stood on the Road and Cried“, höre es mir im Internet an – und möchte gerne ein wenig von Jesus als Vorbild lernen.

Michael vom Ende, Geschäftsführer von faktor c, einer Initiative von Christen in der Wirtschaft