Hinter dem Getöse – ist die Stille

15.05.2020

Alles fing mit dem Daumen an. Meinem linken Daumen, genauer dem sogenannten Endglied. Das wurde mir vor einigen Monaten ausgekugelt – durch einen scharf geschossenen Ball beim Fußball. Einkugeln, medizinisch checken, all das passierte umgehend. Aber auch nach Wochen kam die Beweglichkeit des Daumens nicht wie gewünscht zurück – trotz vieler eigener Übungen. Dann lautete der Hinweis des Handspezialisten: Da muss Physiotherapie her. Und der Physiotherapeut überraschte mich mit den Worten: „Schauen wir uns zuerst den Unterarm an.“ Den Unterarm? Es war doch der Daumen, der Probleme und Schmerzen verursachte! Hinter dem Getöse des Daumens, der meine ganze Aufmerksamkeit gefordert hat, ist die Stille der verkrampften zum Daumen führenden Sehnen und Muskeln.

Alles fing mit dem Pressefoto an, das ich mir gestern aufmerksam anschaute. Darauf standen sich durch Helm vermummte Polizisten mit Sicherheitsausrüstung unvermummten, offensichtlich sehr wütenden Demonstranten gegenüber. Ihre Körperhaltung und ihre Gesichter zeigten die aktuelle Wut auf den Staat, auf die ihrer Meinung nach unverhältnismäßigen Einschränkungen wegen der Pandemie, auf wen oder was auch sonst noch. Körperhaltung und Gesichter erzählten aber auch eine Geschichte des eigenen Lebens – und der Angst. Vor unberechenbarer Krankheit, vor Tod, vor dem eigenen Zukurzkommen? Hinter dem Getöse der Auseinandersetzung mit der Polizei ist die Stille der eigenen zerbrechlichen Existenz.

Alles fing mit der so noch nie dagewesenen Störung der deutschen, europäischen und weltweiten Wirtschaft durch einen unsichtbaren Viren-Feind an. Sie löste intensives wirtschaftliches Kämpfen, hektische finanzielle Rettungsversuche genauso aus wie laute Forderungen von Einzelnen, Firmen oder Interessenverbänden nach (Über-)Lebenshilfe. Die Nachdenklichen sehen aber schon klarer, dass wir viele Selbstverständlichkeiten in den Abläufen, den Vorgehensweisen oder den Abhängigkeiten massiv hinterfragen und verändern müssen. Hinter dem Getöse der Kämpfe, Rettungsversuche und Forderungen ist die Stille der viel grundlegenden Fragen des zukünftigen regionalen und weltweiten Miteinanders in der Wirtschaft.

Alles fing mit den „vielen Tellern“ an, die der junge König von Israel „in der Luft hielt“. Sein Name, den man bis heute kennt: Salomo. Seine Hochzeit mit einer Tochter des ägyptischen Pharaos, die gleichzeitige Bautätigkeit für seinen eigenen Palast, den zentralen Tempel und die Stadtmauer der Hauptstadt Jerusalem und – als ob das alles noch nicht genug sei – die Einführung eines religiösen Ritus für sein Volk. Mitten hinein in diese Aktivitäten-Wolke kommt an ihn eine märchenhafte Aufforderung vom allmächtigen Gott: „Bitte, was ich dir geben soll.“ – nachzulesen in 1. Könige, Kapitel 3 in den ersten Versen. Gott will ihn unterstützen. Nun wären ja in Salomos Situation Wünsche wie „eine glückliche Ehe“ oder „geistige Spannkraft für alle Aufgaben“ naheliegende Wünsche. Aber Salomo bittet um „ein gehorsames Herz“, damit er das Volk richten und verstehen kann, „was gut und böse ist.“ Hinter dem Getöse der Aktivitäten und dem göttlichen Angebot ist die Stille der Versagensangst und der eigenen Unzulänglichkeit bei Salomo.

Mir hilft dieses Gebet, formuliert von Peter Dyckhoff: „Herr, schenke mir himmlische Weisheit, die mir einleuchtet und die mich lehrt, dich zu suchen und zu finden. Schenke mir Einsicht in menschliches Verhalten, sodass ich gerecht handeln kann. Nur durch deine Weisheit, Herr, vermag ich auf dem begonnenen Weg sicher fortzuschreiten.“

Michael vom Ende, Geschäftsführer von faktor c, einer Initiative von Christen in der Wirtschaft