Die Zeit der Unschuld ist vorbei
15.10.2019
„Die Zeit der Unschuld ist vorbei“. Das ist: Eine schonungslose Analyse. Ein Appell zum umgehenden Handeln. Das Ende einer schönen Zeit.
„Die Zeit der Unschuld ist vorbei.“ Beim „Runden Tisch“ der Datenethikkommission im Mai 2019 im Bundesministerium des Innern fiel dieser Satz mehrfach. Ich musste, als ich diesen Satz las, irgendwie sofort an einen Film denken. 1993 erschien „Zeit der Unschuld“ ein Film von Martin Scorsese, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Edith Wharton aus dem Jahr 1921. „Ein grandios fotografiertes und inszeniertes Drama um den Konflikt von Sehnsucht und Verantwortung in einer von starren gesellschaftlichen Konventionen und engen Moralvorstellungen geprägten Welt“, urteilt das Lexikon des internationalen Films.
„Die Zeit der Unschuld ist vorbei.“ Das gilt auch aktuell, obwohl es beileibe keine starren gesellschaftlichen Konventionen und auch keine engen Moralvorstellungen mehr gibt. Menschen werden in unserem Land umgebracht, mit Messern und Pistolen, mit Autos und Lastern, mit Überraschungsangriffen auf Bahnhöfen oder Rolltreppen. Da hat sich offensichtlich ein Aggressionspotential angesammelt, das uns er- und verschreckt und ratlos zurücklässt. Die Menge der Felder, auf denen Hass gesät wurden und werden, sind unübersehbar – die Felder der Liebe, Versöhnung und schnell zu zählen.
Wir haben es uns gut in unserem deutschen Wohnzimmer als unserer Welt eingerichtet. Aber als die Zimmerwände, eine nach der anderen umstürzten, haben wir es nicht wahrhaben wollen – oder waren unfähig zu handeln. Fremde und Fremdes sind eingedrungen: Grenzen-Entferner im weltweiten Internet, Werte-Umwandler in brutalen Computerspielen, Bedrohungs-Auslöser in herausfordernden Migrationswellen, Überfluter in unglaublichen Datenmengen.
„Die Zeit der Unschuld ist vorbei.“ Das war übrigens schon bei der biblischen Erzählung von Adam und Eva so, die das Paradies Gottes verlassen mussten, als sie ihre Unschuld verloren. Zu den Konsequenzen gehörte, der Vergangenheit und der Entwicklung realistisch ins Auge zu sehen und einen passenden Umgang mit dieser Erkenntnis und den neuen Gegebenheiten einzuüben.
Nicht Rumjammern, Verherrlichen der Vergangenheit oder Augenverschließen vor der Wirklichkeit sind dran, sondern eine schonungslose Analyse über das Ende einer schönen Zeit – und dann mutig zu handeln.
Michael vom Ende, Geschäftsführer von faktor c, einer Initiative von Christen in der Wirtschaft