„Absolut erschöpft“

20.05.2021

In den letzten Monaten machte das sog. Kofferwort „mütend“ die Runde – eine Mischung aus „müde“ und „wütend“. Es beschrieb offenbar sehr treffend das vorherrschende Gefühl vieler Menschen in unserem Land im Blick auf Covid-19 und die Pandemie. Jetzt sind wir gefühlt wieder einen Schritt weiter:

„Ein Zauberwort unserer Zeit lautet Flexibilität. Ständig sollen wir uns auf neue Anforderungen und Bedürfnisse einstellen. Wie reagiert unser Gehirn auf so viele Veränderungen?“ So begann vor einigen Wochen ein Interview in unserer Tageszeitung mit Prof. Gerhard Roth, Hirnforscher, Philosoph und Biologe. Die Überschrift des Interviews: „Absolut erschöpft“. Offensichtlich ist die absolute Erschöpfung die beste Beschreibung für die Verfassung von vielen von uns.

Wir kennen solche Superlative: total, absolut, vollkommen, komplett… So drücken wir uns aus, wenn es keine Steigerung und keine alternativen Taten, Gedanken oder Gefühle gibt. Da wird Hägar der Schreckliche bei seinem suchenden Blick im Blumenladen gefragt: „Wir haben Blumen für absolut jeden Anlass. Was haben Sie angestellt?“ Da wurde in der Geschichte unser Volk auf den totalen Krieg eingeschworen, wir halten ein Angebot für vollkommen unakzeptabel, die Kollegin ist nun komplett übergeschnappt – und wir sind eben absolut erschöpft. Dann ist die körperliche, die seelische oder die geistige Verfassung am Boden – oder alle drei zusammen.

* Kürzlich wurde die Würzburgerin Lea Boy Schwimm-Europameisterin – über unglaubliche 25 Kilometer. Vermutlich war sie direkt danach absolut erschöpft.
* Ich höre derzeit immer wieder von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, dass sie absolut erschöpft seien, weil sie in der Pandemie viele Dinge organisieren mussten und müssen, die gar nicht in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung standen. Massenhaftes Home-Office organisieren, Schnelltests bereitstellen und Kurzarbeit beantragen – um nur einige Dinge zu nennen.
* Der biblische Prophet Elia war in einer seiner schwierigsten Situation buchstäblich am Ende. Körperlich, seelisch, geistig und geistlich. Es war genug. Er war absolut erschöpft. Das 1. Buch Könige berichtet über diese Situation so: Er „setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug!“ (1. Kön. 19, 4)
* Und Jesus Christus, unser „faktor c“, spricht eine Einladung aus: „Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet! Ich werde euch Ruhe geben.“ (Matthäus 11, 28).

Das Tückische bei vielen Vielbeschäftigten: Solange wir im „Hamsterrad“ rotieren, merken wir diese Erschöpfung nicht. Aber wehe, das Rad steht einmal still. Vielleicht hilft dieser Ratschlag des großen Theologen Bernhard von Clairvaux:

Gönne dich dir selbst!
Ich sage nicht: Tu das immer.
Aber ich sage: Tu es wieder einmal.
Sei wie für alle anderen Menschen
auch für Dich selbst da.

 

Michael vom Ende
Geschäftsführer von faktor c, einer Initiative von Christen in der Wirtschaft