Ganz schön abgehoben

22.07.2021

* Dezember 1903. Orville Wright hatte erfolgreich mit seinem Fluggerät abgehoben. Genau 12 Sekunden dauert der erste erfolgreiche Motorflug der Geschichte.

* Juli 2021. Jeff Bezos, der Gründer von Amazon und reichster Mann der Welt, folgt auf Richard Branson. Die beiden sind die ersten, die als Privatunternehmer für einen Kurzflug ins All abgehoben haben.

* Abgehoben, arrogant, hochmütig – solche Menschen kennt jeder von uns. Beliebt sind sie nicht. Sie halten sich für etwas Besonderes, halten sich für unersetzlich, wollen alles besser wissen und ignorieren Ratschläge.

* Juli 2021. Teile verschiedener Bundesländer versinken in den Fluten. Menschen sterben, ertrinken, verlieren Hab und Gut – und die Perspektive und Hoffnung. Manche Dörfer sind nur aus der Luft zu erreichen. Unzählige Hubschrauber heben ab, zum Abseilen von Klinik-Patienten, Hospiz-Bewohnerinnen oder Babies. Und Hilfe durch tatkräftiges Anpacken oder Materiallieferungen und Spenden läuft an.

 

„Gott gibt den Imwegsteher“ – so lautet mitten in der Hochwasser-Krise der letzte Satz der „gurke des tages“ in einer deutschen Tageszeitung, der taz. Der Chef der Evangelischen in Deutschland, Prof. Heinrich Bedford-Strohm hatte zur Flut kommentiert: „Gott ist jetzt mittendrin.“ Die taz fragte rhetorisch: „Und was treibt dieser Gott so? Schüppen? Räumen? Entrümpeln? Gott gibt den Imwegsteher.“ Dahinter steht die Vorstellung, dass Gott, sofern er existiert, nichts mit unseren Katastrophen und Fluten zu tun hat. Sondern abgehoben von unserer Wirklichkeit ist – und damit für uns überflüssig.

 

Wie zur Bestätigung dieser Vorbehalte lese ich just in den Tagen der Fluten im facebook-Eintrag eines Freundes den Hinweis auf einen biblischen Satz aus Psalm 29, 10: „Der HERR thront über der Flut.“

 

„Der HERR thront über der Flut.“ Ist „thronen“ nicht selbstherrliches und beherrschendes Sitzen? Ist Gott abgehoben, arrogant und hochmütig? Und sitzt er untätig da, während Menschen um ihr Leben und ihre Existenz kämpfen? Hält uns der Gedanke und die Beschäftigung mit Gott von dem ab, was jetzt dringend getan werden muss (schüppen, räumen, entrümpeln)?

 

Nein, dieser Satz aus den Psalmen ist kein zynischer Kommentar zu der Hochwasser-Katastrophe, sondern ein tröstender Hinweis für alle Fluten unseres Lebens: die Aufgaben- und Arbeitsflut, die Flut der Gefühle und seelischen Herausforderungen, die Flut der wirtschaftlichen Probleme und der persönlichen Verantwortung. All das kann wie eine alles verschlingende Flut über uns kommen und uns in die Tiefe ziehen. Uns als Einzelne, uns als Branchen, uns als Völker. Gott thront über der Flut. Das war schon so bei der Schöpfung, als der Geist Gottes über dem Wasser schwebte. Das war schon so bei dem Volk Israel, das trockenen Fußes durch das rote Meer gehen konnte, weil Gott über der Flut thronte.

 

Gott ist nicht abgehoben. Er ist jetzt mittendrin. In den Katastrophen unseres Lebens. Er ist ganz nah – bei den Flutopfern, bei den Helfenden, bei uns.

 

Michael vom Ende, Geschäftsführer von faktor c, einer Initiative von Christen in der Wirtschaft