Wie der scheidende faktor c-Vorsitzende auf seine Amtszeit zurückblickt
Nach 13 Jahren an der Spitze der christlichen Initiative faktor c kandidiert der Unternehmer Friedbert Gay nicht mehr für den Vorsitz. Ein Gespräch über Führung, wenn es stürmt, den schmerzhaften Spagat zwischen Glaube und Bilanzen, die trügerische Wahrnehmung von außen und sein persönliches Vermächtnis.
Friedbert, du trittst nach 13 Jahren als Vorsitzender von faktor c zurück. Du hast das Amt 2013 in einer für den Verband sehr unruhigen Zeit übernommen, nachdem dein Vorgänger zurückgetreten war. Mit welcher Strategie bist du damals angetreten?
Ehrlich gesagt hatte ich keine große Strategie. Ich bin nicht der klassische Stratege, der Pläne schmiedet. Ich sehe eher die Notwendigkeiten und handle dann. Der Rücktritt meines Vorgängers kam von einer Stunde auf die andere. Ich wollte eigentlich nur eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, um einen Nachfolger zu wählen. Doch es war trostlos. Die wenigen, die wollten, hatten kaum eine persönliche Geschichte mit dem Verband. Je mehr ich für eine Lösung betete, desto schwerer fiel es mir, zu sagen: „Ich mache es auf keinen Fall.“ Am Ende habe ich mich der Verantwortung gestellt, obwohl ich, offen gesagt, auch „die Hosen voll“ hatte.
Die Lage war ja nicht nur personell, sondern auch finanziell dramatisch.
Das kann man wohl sagen. Wir hatten im Jahr zuvor ein Minus von 70.000 Euro gemacht. Als ich übernahm, hatten wir gerade einmal 8.000 Euro an Spenden. Ich hatte dann ein besonderes Gebetserlebnis und habe daraufhin einen Spendenbrief verfasst. Mit diesem einen Brief kamen 114.000 Euro zusammen. Das war ein Segen. Im ersten Jahr unter meiner vollen Verantwortung machten wir dann kein Minus mehr, sondern ein leichtes Plus. Die finanzielle Konsolidierung war das Allererste.
Das war sicher ein herausfordernder persönlicher Einsatz, oder?
Absolut. Das erste Jahr war brutal. Ich habe damals oft von 5.30 bis 8 Uhr und abends wieder von 19.30 bis 22 Uhr für den Verband gearbeitet, neben meiner vollen Verantwortung in der eigenen Firma. Gleichzeitig habe ich die Ausgaben für die Vorstandsarbeit drastisch gesenkt. Zuvor hatten wir für die Vorstandsarbeit Kosten von 11.000 Euro im Jahr, weil man sich, neben den Fahrtkosten, in Seminarhotels am Frankfurter Hauptbahnhof traf. Das ging nicht, wenn es einem finanziell schlecht geht. Ich habe darauf bestanden, dass wir uns günstig treffen und die Vorstandsmitglieder ihre Kosten möglichst selbst tragen.
Was war in all den Jahren die schwierigste Erfahrung, dein persönlicher Tiefpunkt?
Ein Tiefpunkt war sicherlich der finanzielle Verlust von 40.000 Euro rund um unseren tollen Kongress in Wittenberg. Die Konferenz selbst war großartig und ein Segen, aber das finanzielle Minus hat mich schwer getroffen, vor allem, weil ich bis zum Schluss nichts von dem Risiko wusste. Man wollte mich schonen, und nun war das Geld aus unserer Reserve weg. Schwierig war für mich auch jeder einzelne Abgang von Vorstandsmitgliedern. Da ist man auch persönlich angegriffen worden, das muss man erst mal aushalten. Schmerzhaft war übrigens auch eine Erfahrung aus meiner eigenen Kirchengemeinde.
Worum ging es da?
Als Unternehmer ist man in der Gemeinde oft suspekt. Ich hatte ein Unternehmen zu leiten und wollte am Abend in die Bibelstunde. Ich hatte bis zehn vor acht im Betrieb gekämpft, um es zu schaffen, aber dann kam noch etwas dazwischen, also reichte es nicht mehr. Am nächsten Tag traf ich jemanden auf der Straße, der zu mir sagte: „Friedbert, war der Mammon wieder wichtiger als die Gemeinde?“ Diese Stiche von den „lieben Brüdern“ waren oft schwieriger zu verkraften als alle Kritik von außen. Aber eigentlich gibt es genau deshalb faktor c – weil in einer normalen Gemeinde christliche Führungskräfte in der Wirtschaft kaum Verständnis für ihre Herausforderungen finden und sie sich darum unbedingt mit Gleichgesinnten vernetzen sollten.
Ein wichtiger Meilenstein deiner Amtszeit war die Umbenennung von „Christen in der Wirtschaft“ in „faktor c“. Was war die Idee dahinter?
Ein Berater machte uns damals klar: Wenn wir nur den bisherigen Kreis ansprechen wollen, können wir beim alten Namen bleiben. Wollen wir aber Menschen erreichen, die uns noch nicht kennen, die wir aber eigentlich erreichen müssten, dann funktioniert der Name „Christen in der Wirtschaft“ nicht. Der Name „faktor c“ hingegen provoziert die Frage: „Was bedeutet das?“ Er hat mit Multiplikation und Christsein zu tun und sollte uns helfen, mit neuen Leuten ins Gespräch zu kommen.
Die Rechnung ist aber nicht ganz aufgegangen. Der Verband stagniert.
Das stimmt, das große Wachstum ist ausgeblieben. Interessanterweise werden wir in der christlichen Szene oft als Leuchtturm wahrgenommen. Wenn ich mit anderen Leitern spreche, sagen die: „Was ihr habt, ist ein Traum.“ Da frage ich mich manchmal, ob das eine Wahrnehmungsverzerrung ist oder ob wir uns einfach besser darstellen, als wir sind.
Weiten wir den Blick: Spielen Christen im heutigen Wirtschaftsleben überhaupt eine relevante Rolle?
Ein klares Ja. Für mich ist Christsein keine Privatsache. Man ist in die Welt gesandt – und dazu gehört ganz zentral die Arbeitswelt. Wir verbringen oft mehr Zeit mit Kollegen als mit der Familie. Der Arbeitsplatz ist eine riesige Chance zu zeigen, was Werte wie Wahrhaftigkeit, Treue und Menschenfreundlichkeit konkret bedeuten. Es geht darum, als stille Kraft Gutes zu tun und in der Ethik- und Wirtschaftsdebatte sprachfähiger zu werden. Da sind wir noch nicht gut, aber es wäre dringend nötig.
Worin unterscheidet sich denn ein christlicher Geschäftsführer von einem nichtchristlichen?
Ich hoffe, dass christliche Unternehmer barmherziger sind, gerade in schwierigen Situationen. Dass sie sorgsamer vorgehen, wenn Personalabbau nötig wird. Und vielleicht auch darin, dass sie am Abend nach Hause gehen und sagen können: „Heute habe ich wieder viel Mist gebaut, ich brauche Vergebung.“ Diese Demut ist entscheidend. Ein Mentor sagte mal zu mir: „Friedbert, ob deine Wertearbeit gelingt, zeigt sich erst in einer existenziellen Krise.“ Und diese Krisen kamen, auch in meiner Firma. Da merkst du dann, worauf du dich wirklich verlässt.
Die Realität christlicher Firmen sieht aber oft anders aus, sie haben bei Geschäftspartnern und in der Belegschaft keineswegs immer einen guten Ruf. Warum sind christliche Führungskräfte, die sich in einem Bund mit dem lebendigen Gott sehen, nicht besser?
Weil wir mit demselben Problem kämpfen, das schon der Apostel Paulus beschrieben hat: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Wir sind keine Gutmenschen. Ich zum Beispiel hatte schon immer eine kurze Zündschnur. Früher hatte ich einen Mitarbeiter, der mir nach einem emotionalen Ausbruch genau das unter die Nase rieb: „Das war jetzt aber nicht christlich.“ Er hatte ja recht, und ich musste lernen, an mir zu arbeiten. Der Anspruch ist da, aber wir bleiben Menschen, die Fehler machen.
Die wirtschaftliche Lage ist derzeit extrem angespannt, viele Führungskräfte sind nur noch im Überlebensmodus. Und dann kommen wir als Christen und sagen: Deine Firma ist nicht alles, engagiere dich noch in der Gemeinde oder bei faktor c. Wie passt das zusammen?
Ich erwarte, dass sich die Lage in diesem Jahr noch verschlimmert, das könnte die Talsohle werden. Ich sehe es bei meinem Schwiegersohn, dessen Firma mit 200 Leuten bis zur Jahresmitte noch keinen einzigen neuen Auftrag bekommen hatte. In so einer Situation würde ich eine Führungskraft nicht fragen, wie ich ihr helfen kann, trotzdem die Bibelstunde zu besuchen. Ich würde fragen: „Wie kann ich dir helfen, diese Krise zu meistern?“ Aber gerade dann sind die Dinge entscheidend, die uns als Christen tragen: Gebet, Freundschaft, Gemeinschaft. Das sind die Ressourcen, die einen durchtragen. Resilienz kommt nicht aus uns allein.
Wie wird Künstliche Intelligenz die Arbeit von Organisationen wie faktor c verändern?
Sie wird uns nützen, wenn wir sie klug einsetzen. Ich erwarte von unseren Mitarbeitern, dass sie KI als Werkzeug nutzen, um schneller zu sein, um Vorschläge zu erarbeiten oder Zusammenfassungen zu erstellen. Man muss aber auf dem Klavier spielen können, das heißt, man muss wissen, was falsch ist, und alles genau überprüfen. Ein Anwalt in den USA wurde verklagt, weil er sich in einem Rechtsstreit auf Gerichtsurteile bezog, die eine KI frei erfunden hatte. Man darf ihr nicht blind vertrauen.
Eine letzte Frage: Welches Vermächtnis möchtest du als Vorsitzender hinterlassen? Was sollen die Leute über deine Amtszeit sagen, wenn sie zurückblicken?
Ich denke nicht, dass es ein grandioser Job war, den ich gemacht habe, sondern es war das, was ich in der Situation tun konnte. Und darüber habe ich heute sehr viel Frieden. Wenn die Leute später auf meine Zeit zurückschauen, wäre ich glücklich, wenn sie sagen würden: „Dem Friedbert war es immer wichtig, dass Jesus irgendwo hervorleuchtet.“
Friedbert Gay (Jg. 1956) ist Unternehmer, Redner und Autor. Er brachte ab 1990 das DISG®Persönlichkeitsmodell in den deutschsprachigen Raum und gründete 2003 die persolog GmbH, die heute zu den führenden Anbietern für Persönlichkeits- und Führungstrainings gehört. Viele Jahre prägte er das Unternehmen als Geschäftsführer und Mastertrainer, inzwischen führt seine Tochter Debora Gay die Geschäfte weiter. Gemeinsam mit Lothar J. Seiwert veröffentlichte er das Buch „Das neue 1×1 der Persönlichkeit“. Ehrenamtlich war er u. a. als Vorsitzender von faktor c – Christen in der Wirtschaft e. V. engagiert.