Warum sich Unternehmer sinnvoll begrenzen sollten – Interview mit dem Ermutiger Johannes Warth

Warum sich Unternehmer sinnvoll begrenzen sollten – Interview mit dem Ermutiger Johannes Warth

Er nennt sich Ermutiger – und wer könnte in diesen Krisenzeiten nicht Ermutigung gebrauchen? Johannes Warth hat als Schauspieler und Clown gearbeitet, seit 30 Jahren unterstützt er Unternehmen mit dem ihm eigenen Humor. Im Gespräch mit Marcus Mockler empfiehlt er Führungskräften eine Rückbesinnung auf das, was wirklich zählt. Und warum er sich als „Schmuggler“ versteht.

Herr Warth, wir haben Wirtschaftskrise, Umweltkrise, politische Krisen – wo bleibt da der Raum für Leichtigkeit?

Indem wir erkennen: Es ging Menschen auf deutschem Boden noch nie so gut wie uns. Unsere Krisen stehen in keinem Verhältnis zu den Krisen unserer Vorfahren. Mein Urgroßvater hat noch im deutsch-französischen Krieg 1870/71 gekämpft. Stell dir vor, du bist 1900 geboren. Das war ein Zeitalter des Aufbruchs, auch kulturell. Das Automobil ist kurz vorher entdeckt worden. Es ging also enorm aufwärts. Doch mit 14 hättest du den ersten Krieg erlebt und wärst vielleicht kurz vor 1918 selbst noch eingezogen worden. Dann kam die Weltwirtschaftskrise, dann kam der nächste, noch größere Krieg. Hättest du den überlebt, wären die Zeiten bis 1952, der Wiederaufbau, sehr herausfordernd gewesen. Es folgte 1961 der Mauerbau, Panzer fuhren auf. Es ist also wichtig, dass wir unsere Zeit in Relation sehen. Das bedeutet nicht, dass wir in allem Hurra schreien. Wir brauchen die Balance zwischen dem, was für uns wirklich ist, und dem, was unsere Existenz bedroht. Viele Baustellen um uns sind nicht existenziell, sondern eher Luxusprobleme.

 

Und wie können wir bei uns den Schalter umlegen?

Das funktioniert durch eine Veränderung des Fokus. Es gibt die biblische Aufforderung, dass wir uns freuen sollen, auch wenn wir in einer schwierigen Situation sind. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Wenn wir in Dankbarkeit, in Verbindung mit Gott unser Leben sehen, ändert sich die Perspektive. Mein Urgroßvater hatte 18.000 Goldmark im Ersten Weltkrieg als Kriegsanleihe verloren. Das wäre heute ein riesiger Geldbetrag. Und er hat nach dem Verlust gesagt: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gepriesen sei der Name des Herrn.“ Und dann hat er weiter gearbeitet, in einer dankbaren Haltung.

 

Aufhören mit dem Vergleichen

 

Haben wir nicht ganz andere Sätze verinnerlicht als Dankbarkeit?

Das stimmt. Verabschieden wir uns deshalb von dem Satz „Mehr ist nicht genug“. Dieser Satz treibt viele an. Wir vergleichen uns, und das ist der Anfang des Unglücklichseins. Es gibt immer Leute, die mehr Erfolg haben als wir, mehr Wohlstand, mehr Sicherheiten. Neben denen fühlen wir uns klein. Hören wir damit auf, uns zu vergleichen. Ich habe heute Holz geholt, um einen Zaun zu bauen. Ich empfand eine riesige Dankbarkeit, als ich das ganze Holz geladen hatte. Nun könnte ich natürlich sagen: Wie furchtbar, dass ich den Zaun selber bauen muss, während andere das einfach eine Firma erledigen lassen.

 

Eine Firmenchefin würden sagen: Das hört sich schön an, ober ohne das „Mehr“ kommt meine Firma nicht voran…

Ich stelle manchmal Unternehmern genau diese Frage: Ganz ehrlich, hast du Not? Die meisten Antworten: Nein, überhaupt nicht. Aber das Wirtschaftsdenken heißt: Stillstand ist Rückschritt. Es muss immer noch mehr, noch mehr werden. Das endet nie, und deshalb sind viele unglücklich.

 

Trotzdem gilt der Grundsatz: Firmen müssen wachsen, es muss „mehr“ werden.

Ich war zu Gast in einem Unternehmen, und am Anfang verkündete der Chef: „Das vergangene Jahr war das erfolgreichste unserer Unternehmensgeschichte. Aber da ist noch mehr drin.“ Später sprach ich mit ein paar Mitarbeitern, und die sagten: „Mir steht‘s ganz oben. Wir haben geschuftet wie wild. Und das soll immer noch nicht genügen?“ In der Firma habe ich dann später gesagt: „Ja, hier ist noch mehr drin. Mehr an Werten, mehr an gutem Zusammenhalt, mehr an glücklichen Mitarbeitern. Dann wird es auch ein monetäres Mehr geben.“

 

Künstliche Verlustängste

 

Die Psychologie sagt, unsere Angst vor Verlusten ist stärker als unsere Hoffnung auf Gewinne. Prägt das unsere Zeit?

Verlust wird einem teilweise nur suggeriert. In diesem Jahr berichten die Reisebüros, dass noch nie so viel geflogen wurde wie jetzt. Wenn mein Fokus darauf liegt, noch mal ein paar Urlaubsreisen in ferne Länder zu machen, dann bekomme ich natürlich Angst, dass ich mir die Kanada-Reise nicht mehr leisten kann.

 

Was hat sich in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren in deutschen Firmen verändert?

Optimierung und Gewinnmaximierung sind die Antriebsfedern für viele, und das hat sich noch verstärkt. Wenige trauen sich den Weg des Reduzierten zu gehen. Das ist ein herausfordernder und schwerer Weg. Hier lautet dann das Motto „Weniger ist mehr!“ Und dies wird für viele die einzige Möglichkeit, ihr Unternehmen weiterzuführen – in Bezug auf weniger Menschen auf dem Arbeitsmarkt und darauf, dass jetzt viele auch schon mit 50 aufhören wollen zu arbeiten. Das hat aber dann auch zur Folge, dass du mit denen, die weiterhin für dich arbeiten, besonders gut agieren musst. Hier ist vor allem ein gutes Miteinander angesagt. Nur so kannst Du dann Dein Niveau halten.

 

Heißt das, wir sollten nicht nur nach gesundem Wachstum fragen, sondern auch nach gesundem Schrumpfen?

Zumindest lohnt es sich, darüber nachzudenken. Ich kann gesund verkleinern, indem ich immer wieder die Sinnfrage stelle. Was mache ich hier eigentlich? Und warum? Wem diene ich? Was muss ich wirklich haben, was ist wirklich wichtig? Welche Anschaffungen sind wirklich wichtig, und muss ich dafür sehr viel mehr arbeiten. Brauche ich das wirklich?

 

Erfolg durch Lügen?

 

Was hat sich noch verändert?

In einigen Wirtschaftsbereichen höre ich leider den Slogan: „Seitdem wir lügen, sind wir sehr erfolgreich.“ Das fängt schon bei den Verkaufsstrategien an. Ständig hören wir, wir müssten jetzt sofort bestellen, weil das Angebot in wenigen Stunden ausläuft. Und am nächsten Tag gibt es das wieder. Ich bekam eine Verkaufsmail mit der Überschrift: „Das ist deine letzte Chance. Die letzte Stunde hat für dich geschlagen.“ Ich verfasste eine E-Mail mit der Antwort: „Über die letzte Stunde in meinem Leben bestimmt Gott. Und nicht du.“ Aber eigentlich will ich mich auf diese Art der Werbung gar nicht einlassen, deshalb habe ich die Mail nicht abgeschickt. Für mich selber war es wichtig, sie zu schreiben. Und es wird uns in der Werbung so viel vorgegaukelt. Da ist so viel Lüge.

 

Wenn ich durch Dankbarkeit und Nachdenken wieder mehr Leichtigkeit in mein Leben gebracht habe — wie bringe ich das dann auch in meine Organisation?

Durch die richtige Führung. Viele Führungskräfte sind total überfordert. Vor allem wissen sie oft nicht, wie man richtig kommuniziert. Mitarbeiter beklagen sich: „Mir hat keiner was gesagt, ich habe das nicht mitgekriegt.“ Und dann bekommen sie als Antwort, man habe ihnen doch eine E-Mail geschrieben. Viel besser wäre es, sich mit den Teammitgliedern zu besprechen: „Wo in diesem Projekt siehst du dich?“ Und wenn die Aufgabe für den Mitarbeiter klar ist, hat die Führung dafür zu sorgen, dass ihm die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Wenn die Führungskraft die Dinge nicht im Vorfeld richtig klärt, muss sie am Ende vieles selber machen.

 

Führung lernen

 

Brauchen unsere Führungskräfte Nachhilfe?

Ich meine, Menschen in Leitungspositionen sollten gute Führungsseminare besuchen. Denn die meisten haben nie Führung gelernt. Das hat in Studium und Ausbildung praktisch keine Rolle gespielt. Führung heißt für viele immer noch: „Ich Chef, du machen.“

 

Das werden Führungskräfte vermutlich nicht gerne hören.

Naja, Mitarbeiter beklagen sich, dass sie nicht informiert seien oder dass sogar ein ganzes Projekt, an dem sie wochenlang gearbeitet hatten, einfach umgestellt oder gestrichen wurde. Im schlimmsten Fall sagt der Chef dann noch den Satz: „Ich bezahle ja die Leute. Die sollen zufrieden sein.“ Das ist eine Katastrophe.

 

Warum?

Stell dir vor, dein Sohn feiert Geburtstag und bittet dich, das Fest zu organisieren. Du übernimmst mit großer Sorgfalt diese Aufgabe, und drei Tage vor dem großen Tag sagt der Sohn: „Papa, wir haben uns das überlegt, ich geh doch lieber mit drei Freunden aus. Danke für deine Arbeit.“ Und ergänzt: „Du kannst ja froh sein, jetzt kostet dich das Fest nichts.“ Das wird dich total traurig machen – und das gesparte Geld ist kein Trost. Du hast dein Herzblut reingesteckt.

 

Engagierte Mitarbeiter, bessere Unternehmen?
10 Gründe, warum Mitarbeiterengagement erheblich zur Unternehmensleistung beiträgt.

23% höhere Rentabilität

18% höhere Produktivität

81% weniger Fehlzeiten

58% weniger Sicherheitsvorfälle im Patientenumfeld

18% geringere Fluktuation (in Unternehmen mit hoher Fluktuation)

43% geringere Fluktuation in Unternehmen (mit niedriger Fluktuation)

28% weniger Schwund (durch Diebstahl)

64% weniger Sicherheitsvorfälle (durch Unfälle)

41% bessere Qualität (weniger Fehler)

10% höhere Kundenloyalität und -bindung

Quelle: © Gallup, Inc. Artikel (2023) Analysiert wurde die Beziehung zwischen Mitarbeiterengagement und Leistungsergebnissen anhand von 456 Forschungsstudien, die in 276 Organisationen aus 54 Branchen und 96 Ländern durchgeführt wurden. Insgesamt wurden dabei die Daten von 2,7 Millionen Mitarbeitern ausgewertet. www.gallup.com/workplace/236927/employee-engagement-drives-growth.aspx

Vorsicht, Jammerlappen!

 

Was sagen Sie einem Menschen, dem gekündigt wird?

Einer meiner Vorträge heißt „FAIRänderung“. Unterzeile: „Manchmal kommt es anders, weil man denkt.“ Wer seinen Job verliert, dem empfehle ich, das FAIR-Prinzip anzuwenden. Schaue auf das, was du kannst, welche Ausbildungen du hast, welche Erfolge du schon gefeiert hast. Schaue nicht auf das, was dir durch die Kündigung verloren gegangen ist, sondern aktiviere dein Netzwerk und sprich mit den Leuten, denen du vertraust, über deine Situation. Frage nach Ideen, Unterstützung, Hilfe beim Bewerbungsschreiben. Diese positive und selbstbewusste Haltung im Blick auf das eigene Können ist auch wichtig im Bewerbungsprozess. Jammerlappen werden ungerne eingestellt.

 

Und wenn ich in der Firma bleibe, obwohl mir der Veränderungsdruck schwer zu schaffen macht?

Auch da ist es wichtig, gut für sich zu sorgen und zu reflektieren. Wo finde ich meinen Platz im Veränderungsprozess? Es gilt der gute Umgang mit der Veränderung nach dem Grundsatz: love it, change it or leave it. Veränderung bringt uns oft aus dem Gewohnten und damit dem Selbstverständlichen, der Komfortzone. Nur außerhalb der Komfortzone findet Wachstum statt. Bin ich jedoch dauerhaft zu weit aus der Komfortzone, bedroht das Stresserleben eine gesunde WorkLife-Balance.

 

Vom Geist der Welt geprägt

 

In manchen christlichen Publikationen konnte man in der Vergangenheit lesen: Christliche Chefs haben es besser, sie haben göttliche Kraftquellen, Inspiration, und so weiter. Machen gläubige Führungskräfte wirklich einen besseren Job?

Bei vielen sehe ich das nicht. Viele sind extrem beeinflusst vom Geist dieser Welt. Und das müssen wir als Christen erkennen: Wir sind in der Welt, aber nicht von dieser Welt. Auch für betriebliche Entscheidungen gilt die Frage: Was hat mich zu diesem Schritt getrieben? Welcher Geist hat mich beeinflusst? in dem Wort „Inspiration“ steckt ja der „Pirat“. Daher sind manche Inspirationen auch verwirrend oder ungut. Erzählt Dir zum Beispiel einer von seinem letzten Urlaub in Costa Rica und schwärmt Dir von den Stränden und dem schönen Leben dort vor, dann nimmt das Besitz von dir und erweckt in Dir ein Bedürfnis, das Du zuvor nicht hattest.

 

Wo könnten die Stärken von Christen in verantwortlichen Positionen liegen?

Ich sehe in der Wirtschaft einige inspirierende Führungspersönlichkeiten, denen es nicht nur ums Geldmachen geht, sondern die echt etwas auf dem Herzen haben, so zum Beispiel die Chefin des Outdoor-Ausrüsters vaude. Die hat die Szene verändert, die möchte etwas bewegen. Das vermisse ich oft bei christlichen Unternehmen, dass sie etwas bewegen wollen, das über einen guten Jahresabschluss hinausgeht. Da gibt es manche, die Geld an christliche Organisationen spenden, und das ist gut. Aber gleichzeitig haben sie total frustrierte Mitarbeiter im Team, die den christlichen Geist im Unternehmen einfach nicht spüren.

 

Den Mitarbeitern dienen Das wollen Sie ändern?

Wir sind eine Gruppe von sechs Trainern, die das Thema „Behalten“ großmachen. Unser Slogan heißt: Vor Recruiting kommt Behalting. Sorge dafür, dass die Menschen bei dir bleiben, dass die gerne in deinem Unternehmen arbeiten. Da gibt es ein paar Eckpfeiler, die man beachten kann. Zum Beispiel Vertrauen. Eine Führungskraft ist eine Vertrauenskraft. Man darf die Menschen nicht an der Nase herum führen. Von ein paar Unternehmern habe ich den Satz gehört: Meine Aufgabe ist auch, dafür zu sorgen, dass es den Mitarbeitern gutgeht. Geht es denen gut, geht’s auch mir gut. Hier wollen wir Führungskräften dienen. Gute Teams sind dann auch ohne Führungskraft in der Lage, Herausforderungen zu bewältigen. Unsere Trainergruppe nennt sich die „Fairforce 43“.

 

Welche Auswirkungen hat Ihr Christsein auf Ihre Arbeit in Unternehmen?

Ich spreche immer von Werten, und meine Werte beruhen auf einem christlichen Verständnis. Da zitiere ich auch die Bibel. Aber ich arbeite natürlich für meinen Auftraggeber. Dessen Anliegen ist bei mir im Fokus, zum Beispiel beim Thema Mitarbeitermotivation oder dem Umgang mit Veränderungen. Wenn ich in einer Kirche spreche, ist das Anliegen, den christlichen Glauben nach außen zu tragen. Ein Trainerkollege sagte neulich: Wir sind Schmuggler. Wir schmuggeln Botschaften, die uns wichtig sind, zu unseren Kunden.

 

Frieden „schmuggeln“ Was schmuggeln Sie?

Ich schmuggle die Botschaft, dass es einen Frieden gibt, der höher ist als alle Vernunft und den es nicht in der Welt gibt. Menschen haben ja eine Sehnsucht nach Frieden und Zufriedenheit. Diesen Frieden bekomme ich durch Gott und durch seine Sicht auf die Welt. Und in vielen Menschen schlummert der Glaube noch, auch wenn die Kirchen Mitglieder verlieren. Ich bekomme oft als Reaktion, dass ich Menschen zu neuem Nachdenken über ihr Leben gebracht habe. Hier wirkt für mich der Heilige Geistes. Das Wort Gottes kommt nie leer zurück. Wir danken für das Gespräch.

 

 

Zum Autor:

Johannes Warth, Jahrgang 1961, wuchs in Oberschwaben auf und arbeitete nach dem Studium der Schauspielkunst zunächst an der Badischen Landesbühne Bruchsal und der Städtischen Bühne Heidelberg. Es folgten Phasen als Clown, Komiker und Entertainer. Seit rund 30 Jahren ist er in Motivationsprozesse und Teamtrainings unterschiedlicher Wirtschaftsunternehmen eingebunden, und er spricht auch bei vielen christlichen Veranstaltungen. Seine zentrale Botschaft lautet: „Sehen und säen Sie das Gute!“

www.johannes-warth.de

 

 

 

Eine Wirtschaftsministerin zum Verhältnis von Wirtschaft und Kirche

Eine Wirtschaftsministerin zum Verhältnis von Wirtschaft und Kirche

Sie ist eine Frau der Wirtschaft, der Politik und der Kirche: Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) leitet seit 2016 das Wirtschaftsressort in der baden-württembergischen grünschwarzen Landesregierung. Zwölf Jahre lang arbeitete sie im evangelischen Kirchengemeinderat in Balingen (Zollernalbkreis) mit, derzeit gehört sie dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags an. Im Interview mit Marcus Mockler erläutert sie, warum die Wirtschaft Religion braucht und wie sich die Kirchen reformieren sollten.

 

Frau Ministerin Hoffmeister-Kraut, braucht die Wirtschaft Religion, braucht sie christliche Werte?

Christlicher Glaube und Religion bereichern die Wirtschaft. Der in Deutschland sprichwörtliche ehrbare Kaufmann ist geprägt vom christlichen Menschenbild. Ich selbst versuche in meinem Alltag und in meinen Entscheidungen, nach christlichen Werten zu leben: Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Integrität. Das tun bis heute viele Menschen. Es gibt weiterhin in der Gesellschaft eine enge Verschränkung mit dem christlichen Glauben.

 

Vorletzte Dinge

 

Was heißt das für Sie konkret?

Ich bin ein gläubiger Mensch, und der Glaube hat mir in Krisen Halt gegeben. Für wichtig halte ich Demut. Ich mache keine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg. Als meine Aufgabe sehe ich es an, Politik für die Menschen zu machen. Der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel hat immer so schön gesagt: In der Politik geht es nur um die vorletzten Dinge. Dessen muss man sich immer wieder bewusst sein. Da darf man sich selber nicht so wichtig nehmen.

 

Auf dem Foto zu Ihrem Lebenslauf auf der Internetseite des Ministeriums tragen Sie an Ihrer Halskette ein Kreuz, heute im Interview ebenfalls. Ein Bekenntnis?

Diese Kette trage ich ganz oft. Das Kreuz gibt mir Halt, Stärke, Kraft, auch in schwierigeren Zeiten. Ich bete auch jeden Abend. Mein Vater hat immer die Herrnhuter Tageslosung morgens gelesen – je einen Bibelvers aus Altem und Neuem Testament. Es tut schon gut, wenn man morgens für einen stillen Moment in sich kehren kann. Tagsüber ist man ja ständig gefordert und aktiv.

 

Kirche leistet staatliche Aufgaben

 

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Kirchen?

Ich bedaure es sehr, dass sich so viele Menschen von der Kirche abwenden. Die Kirche macht ja weit mehr, als nur über den Glauben zu predigen – was natürlich wichtig ist, denn das ist der Ursprung des Handelns. Sie kümmert sich um Nächstenliebe, hilft den Menschen. Sie bietet Seelsorge an und leistet teilweise staatliche Aufgaben in der Beratung oder bei der Kinderbetreuung.

 

Wenn die Kirchen schwächer werden, ändert sich dann die Gesellschaft?

Ich beobachte eine sich ausbreitende Mentalität, die nicht mehr das große Ganze und die Gemeinschaft sieht, sondern nur noch den eigenen Hinterhof. Wenn Menschen beispielsweise Wohngebiete verhindern, weil sie nicht wollen, dass direkt neben ihnen, neben dem eigenen Haus, gebaut wird. Dabei brauchen die anderen auch Wohnraum. Oder man sagt: Klar, wir sind für erneuerbare Energien, aber bitte kein Windrad in der Nähe meines Hauses. Die Bibel lehrt, dass man nur als Gemeinschaft stark sein kann. Die Zehn Gebote waren eine Art Grundgesetz. Wie gehen wir miteinander um? Wie funktioniert das Zusammenleben? Das wieder stärker zu befolgen, würde der Gesellschaft guttun.

 

Wenn der Chef vor der AfD warnt

 

Die Kirchen der Reformation haben sich sehr für Bildung starkgemacht und allgemeine Schulen, auch für Mädchen, eingerichtet. Ein Plus für die Wirtschaft?

Tatsächlich sind wir eine Bildungsgesellschaft und deshalb wirtschaftlich so erfolgreich. Unsere Stärke sind die Menschen. Qualifikation ist ein wesentlicher Standortfaktor. Das ist weiterhin ein Kriterium, warum Unternehmen in Baden-Württemberg investieren. Historisch gesehen haben die Kirchen mit ihrer Bildung dazu den Grundstein gelegt.

 

Ist es aus Ihrer Sicht ein Ausdruck von christlichen Werten, vor der Wahl der AfD zu warnen, wie das der Unternehmer Reinhold Würth in einem Brief an die 27.000 Mitarbeiter der Würth-Gruppe getan hat?

Herr Würth übernimmt Verantwortung, er macht sich Sorgen um die Zukunft unseres Landes. Er nimmt die Stimmung in der Gesellschaft wahr und sieht auch die Gefahren, die daraus entstehen für die Demokratie und auch für unsere Wirtschaft.

 

Nachhaltigkeit ganzheitlich denken

 

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Kirchen und Wirtschaft heute beschreiben? Ist die Kirche noch so kapitalismuskritisch wie in den 1970er- und 1980er-Jahren?

In den aktuellen Debatten nimmt Wirtschaftskritik nicht mehr so viel Raum ein wie früher. Die Kirchen haben einen starken Schwerpunkt im Bereich der Nächstenliebe, der Menschenwürde – auch, um Menschen in Not zu helfen. Die Kirchen engagieren sich zudem stark für Nachhaltigkeit. Das begrüße ich und finde, dass man Nachhaltigkeit ganzheitlich definieren muss. Man muss den ökonomischen, den ökologischen und den sozialen Aspekt zusammen betrachten. Wenn wir uns etwa gegen den Klimawandel engagieren, was ich für sehr wichtig halte, müssen wir darauf achten, dass wir den sozialen Zusammenhalt nicht gefährden.

 

Die Kirchen haben sich immer wieder auf die Seite der Arbeitnehmer gestellt und beispielsweise Entlassungen kritisiert …

Wenn ein Unternehmer Menschen entlassen muss, ist das für die Betroffenen natürlich schlimm. Auf der anderen Seite kann das helfen, einer Vielzahl von Mitarbeitern den Job zu sichern und vielen Familien eine Zukunft zu bieten. Deshalb sollte man solche unternehmerischen Entscheidungen nicht vorschnell kritisieren. Kein Unternehmer macht es sich da leicht.

 

Trotzdem geraten durch Unternehmer-Entscheidungen auch Menschen unter die Räder…

Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft. Hier gilt der Grundsatz: Die Starken helfen den Schwachen. Auch beim Streit ums Bürgergeld ist doch klar, dass die, die in unserer Gesellschaft schwach sind, unsere Solidarität erhalten. Wir wollen diesen Menschen helfen, auch finanziell. Aber es gilt auch ein weiterer Grundsatz: Wer arbeiten kann, soll auch wieder in Arbeit. Daher müssen die richtigen Anreize gesetzt werden.

 

Wirtschaft auf dem Kirchentag

 

Sie sind im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Wünschen Sie sich einen wirtschaftsfreundlicheren Kirchentag?

Im Grunde Ja. Zu Wirtschaft und Arbeit soll es beim nächsten Kirchentag 2025 in Hannover thematische Schwerpunkte geben.

 

Da Sie auch als Kirchengemeinderätin engagiert waren: Was sollte die Kirche von der Wirtschaft lernen – gerade in Zeiten schwindender Mitglieder und zurückgehender Finanzen?

Das System von Wirtschaft und Märkten ist natürlich etwas anderes als das System der Kirche. Aber sicher muss sich die Kirche öffnen, flexibler werden in ihren Angeboten – auch bei den Kanälen, mit denen man die Menschen erreicht. Andererseits weiß ich, dass schon enorm viel passiert. Es gibt ja schon kirchliche Influencer in den sozialen Medien. Gerade in so bewegten Zeiten, wie wir sie im Moment haben, könnten sich Menschen wieder auf das Grundsätzliche besinnen. Dazu sollte sich die Kirche auf ihre Kernaufgabe, die Vermittlung des Glaubens, konzentrieren – und das angepasst auf die heutige Zeit. Vielleicht wäre es mal interessant, einen After-Work-Gottesdienst anzubieten. Anstatt nach der Arbeit gemeinsam etwas trinken zu gehen, könnte man zu einem coolen Event gehen und über den Glauben sprechen. Trivial ist es jedenfalls nicht, die Menschen an sich zu binden.

 

Menschen mehr beteiligen

 

Wo sehen Sie Reformbedarf?

Die Kirche hat teilweise festgefahrene Strukturen. Diese sollte man aufbrechen. Aus meiner Sicht braucht es zum Beispiel mehr Beteiligung der Menschen und das Bemühen, sie mitzunehmen. Und dass sie mehr gestalten dürfen. Manchmal ist das, was ein Kirchengemeinderat entscheiden darf, schon sehr kleinteilig.

 

Brauchen kirchliche Gremien Leute aus der Wirtschaft?

Wirtschaftliches Denken wird in verschiedenen Bereichen der Kirche wichtiger. Angefangen beim Umgang mit Immobilien über den Auftritt nach außen, was Wirtschaftsleute als Marketing bezeichnen würden, bis hin zu diakonischen Einrichtungen, die ganz klar wirtschaftlich arbeiten müssen.
epd

 

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