Das Wort Transhumanismus hat seit einigen einen besonderen Klang: Es verheißt ein Leben ohne Leid und verspricht Unsterblichkeit. Die Philosophin und Theologin Anna Puzio hat diese Bewegung in ihrer Doktorarbeit unter die Lupe genommen – und dort ein schräges Menschenbild entdeckt.
Frau Dr. Puzio, in wenigen Sätzen: Was ist Transhumanismus?
Das ist eine philosophisch-technologische Bewegung des späten 20. und 21. Jahrhunderts, die es sich zum Ziel nimmt, den Menschen technologisch zu transformieren. Der Mensch soll grundlegend durch neue Technologien verändert werden. Sie ist vor allem im englischsprachigen Raum verbreitet und gruppiert sich um die Organisation „Humanity+“. Es gibt in der Öffentlichkeit und in der Forschung ganz unterschiedliche Ansichten darüber, was Transhumanismus ist. Nicht jede Optimierung des Menschen ist gleich Transhumanismus. Der Gedanke, die Fähigkeiten des Menschen durch Technologie zu erweitern, ist vom Transhumanismus klar zu trennen.
Konkrete transhumanistische Ideen sind, das Altern zu überwinden und jedes Leid und jede Krankheit zu tilgen. Das geht natürlich mit der Diskriminierung von alten und kranken Menschen einher. Und es geht Transhumanistinnen und Transhumanisten nicht nur um eine radikale Lebensverlängerung um 100 oder 200 Jahre, sondern sie denken an mehrere hundert Jahre. Solange das nicht möglich ist, dient die Kryonik als Übergangslösung. Menschliche Körper werden eingefroren in der Erwartung, dass sich die Technik so weiterentwickelt, dass das Leben nach dem Auftauen fortgesetzt werden kann.
Wie soll man technisch unsterblich werden?
Zum Beispiel durch Mind Uploading, das Hochladen aller im Gehirn gespeicherten Informationen. Am Ende soll die Technik nicht mehr auf Fleisch angewiesen sein. Der Mensch lebt außerhalb seines Körpers, auf einer Festplatte führt er sein Bewusstsein weiter. Der verwundbare Körper stirbt, der Mensch existiert im digitalen Raum unendlich. Das ist aber hochspekulativ.
Das gelingt doch ohnehin nur, solange keiner den Stecker zieht.
Ja, und das kann man am Transhumanismus auch kritisieren. Er hat ein Bild von einer übermächtigen Technik. So wie der Körper Stoffe braucht, um zu leben, so ist auch die Technik auf Außenwirkung angewiesen, zum Beispiel verbraucht sie Strom. Damit bleibt der Mensch auch auf der Festplatte verwundbar. Wenn es überhaupt soweit kommt.
Ideal: Jung und unsterblich
Ist diese geplante Verbindung von Mensch und Maschine sinnvoll?
Der Grundgedanke, den Menschen durch Technik zu erweitern, hat verheißungsvolle Seiten. In meiner Promotion habe ich jedoch die ideologische Seite des Transhumanismus erkannt. Die Sicht auf den Menschen ist dort sehr problematisch. Die Fragen sind aber spannend: Verändert sich unsere Menschenverständnis schon dadurch, dass wir einen Herzschrittmacher einbauen? Oder wird ein Rollstuhl als Teil des Körpers wahrgenommen?
Beim Transhumanismus geht es aber gar nicht so sehr um medizinische Eingriffe, um Therapie, Heilung von Krankheiten oder Erleichterung von verschiedenen Beeinträchtigungen, sondern es geht tatsächlich um die Optimierung eines gesunden Körpers! Ideologisch am Transhumanismus sind nicht so sehr die Technologien, sondern vielmehr die Argumentationen und Zielsetzungen, die dahinterstehen. Sie verkennen dabei den Faktor der sozialen Umgebung, die dazu führt, dass Beeinträchtigungen erst als solche wahrgenommen werden. Transhumanismus reduziert Krankheit und Beeinträchtigung ganz auf das Körperliche. Er sieht nicht die sozialen Gegebenheiten. Er will jedes Leid eliminieren. Am Ende steht der perfekte, junge, unsterbliche Mensch.
Ist das der Wirtschaftszweig der Zukunft?
Das ist schwer zu sagen. Der Transhumanismus ist auf Geld angewiesen, um seine Ideen durchzusetzen und Forschung zu betreiben. Außerdem hängen Technologien mit politischer Regulierung zusammen. Transhumanisten pochen sehr auf die Freiheit – aus ihrer Sicht gehört dazu auch die Freiheit, sich selbst zu verändern.
Verschwörungserzählungen blühen
Wo sehen Sie die ethische Grenze, die Transhumanisten überschreiten?
Der Transhumanismus diskriminiert nicht nur alte und kranke Menschen, sondern am Ende auch den Menschen mit einem gesunden Körper, weil dieser durch eine Maschine abgelöst werden soll. Sie sprechen über Mind Uploading, verfügen aber gar nicht über eine entsprechende Technologie. Sie haben ein sehr vereinfachtes Verständnis von biologischen Vorgängen und suggerieren den Menschen, die technische Umsetzung wäre ganz leicht möglich. Es ist sehr umstritten, ob es so etwas wie Mind Uploading überhaupt gegeben wird. Manche meinen, Maschinen könnten schon heute Gedanken lesen, aber das ist nicht so möglich, wie wir es uns vorstellen. Gedanken lassen sich nicht in unserem Sinne digitalisieren.
Gibt es Horrorszenarien?
Mit dem Transhumanismus blühen auch Verschwörungstheorien. In Österreich hat die Verschwörungserzählung die Runde gemacht, bei den Transhumanisten handele es sich um einen kleinen, elitären Kreis, der die Welt verändern und alle Menschen unfruchtbar machen wolle. So ein falsches Wissen von Transhumanismus ist problematisch. Gefährlich wird es, wenn es zu Radikalisierungen beim KI-Hype kommt.
Bei der Recherche zu dem Thema stellt man fest: Es gibt fast nur euphorische Befürworter oder leidenschaftliche Gegner. Existiert eine vernünftige Position dazwischen?
Meine Analyse hat mir gezeigt, dass an dieser Bewegung vieles gefährlich und ideologisch ist, etwa auch eugenische Gedanken. Von daher scheint mir keine vernünftige Mittelposition möglich. Möglich ist ein verantwortungsvoller Umgang und die Erforschung dieser neuen Technologien. Technikoptimismus und Interesse am Fortschritt darf nicht mit Transhumanismus gleichgesetzt werden. Wer sich gegen den Transhumanismus wendet, ist keineswegs technologiefeindlich.
Zugang zu neuen Welten
Was ist denn der Charme der Vorstellung, dass ich mein Ich auf eine Maschine übertrage und in der Maschine weiterlebe? Woher kommt die Anziehungskraft dieser Idee?
Der Transhumanismus hat den starken Wunsch danach, alle Aspekte des Lebens zu verbessern. Das klingt sehr verführerisch. Ebenso, dass suggeriert wird, das ließe sich leicht umsetzen. Außerdem lockt, dass wir etwa Fähigkeiten von Tieren übertragen könnten oder Zugang zu neuen Erfahrungswelten bekommen.
Dennoch: Wie habe ich mir ein Leben in einem Serverraum vorzustellen?
Das ist genau der Aspekt, der so selten hinterfragt wird. Wollen wir das überhaupt, was der Transhumanismus will? Die Visionen klingen so verführerisch und argumentativ schlüssig, dass man sich das schönste Leben überhaupt vorstellt. Bei Menschen mit einer unheilbaren Krankheit docken Transhumanisten da an, dass sie verheißen, dass das alles überwindbar ist. Auch Unsterblichkeit klingt verführerisch. Man bekommt eine Möglichkeit zu überleben und kann weiterhin in Verbindung bleiben mit seinen Liebsten. Das zieht natürlich. Außerdem soll man aus transhumanistischer Sicht dann einen neuen Körper erhalten.
Einfach gestricktes Weltbild
Der Transhumanismus träumt auch von der Überwindung des Todes. Ist das eine realistische Option?
Ich gehe schon davon aus, dass wir einen enormen, technischen Fortschritt erleben werden. Künstliche Intelligenz wird exponentiell wachsen. Wir werden viele Verletzlichkeiten tilgen können, aber damit entstehen auch neue. Der Transhumanismus selbst bietet keine Ideen, wie das Ganze technisch umsetzbar wäre. Er geht beispielsweise davon aus, der Mensch habe gute Gene und schlechte Gene. Wenn man die schlechten rausschneidet, bleiben die guten übrig, und wir haben den besseren, optimierten Menschen. Aber so funktionieren Gene nicht. Es gibt keine guten und schlechten Gene. Der ganze Organismus wirkt zusammen. Und da gibt es noch viele andere Faktoren. Diese Idee kann also gar nicht funktionieren.
Haben Transhumanisten demnach ein etwas einfach gestricktes Weltbild?
Ja. Ich kritisiere, dass sie sich auf naturwissenschaftliche Methoden berufen, diese aber gar nicht beachten. Sie haben ein sehr einfaches Denken und stellen sich Materie und Leben nur als eine Summe von Bausteinen vor.
Ist Transhumanismus dann überhaupt eine Bedrohung?
Wir erleben in der Gesellschaft derzeit eine Radikalisierung. Wir haben etwa einen großen KI-Hype. Da braucht es viel Aufklärung. Das kann solche Ideologien befördern. Ich kritisiere das ideologische Gedankengebäude des Transhumanismus, nicht die Optimierung. Der Mensch hat sich schon immer optimiert, und auch dafür wird es weitere Einsatzgebiete geben.
Kritische Sicht aufs Christentum
Wie unterscheidet sich das christliche Menschenbild vom transhumanistischen?
Der Transhumanismus hat eine reduktionistische Sicht auf den Menschen und sieht ihn als etwas Verwerfliches an, das begrenzt ist und verbessert werden muss. In der christlichen Theologie haben wir ein Menschenbild, dass Diversität ermöglicht. Wir brauchen ein dynamisches Menschenverständnis, das die Vielfalt würdigt und Wertschätzung dem Menschen gegenüber bringt.
Das heißt, Transhumanismus fördert nicht Vielfalt, sondern Homogenität?
Genau. Am Ende steht der optimierte Mensch, wie der Transhumanismus sich ihn vorstellt.
Laut der christlichen Botschaft ist das größte Problem des Menschen nicht seine Begrenzung, sondern seine Trennung von Gott? Für den Transhumanismus ist das keine Kategorie, oder?
Man muss sich den Transhumanismus als eine sehr heterogene Bewegung vorstellen. Sie finden sehr unterschiedliche politische Einstellungen und auch sehr unterschiedliche religiöse. Es gibt einige, die religiöse Ideen befürworten. Der Fokus liegt da aber eher auf den nicht-monotheistischen Religionen, etwa dem Buddhismus. Das Christentum wird häufig abgelehnt, was damit zusammenhängt, dass sie denken: Das Christentum lehnt den Körper ab und verherrlicht ein Jenseits (statt das Diesseits). Letztlich versuchen Transhumanisten aber auszudrücken, dass sie allen Religionen offen und tolerant gegenüber sind.
Aufklärung anbieten
Sollten sich die Kirchen klar gegen Transhumanismus positionieren?
Ja. Aufklärung ist dabei ein wichtiger Aspekt. Durch den KI-Hype werden viele Anfragen an die Theologie gerichtet. Da geht es um die Frage nach dem Menschenverständnis, ob man bestimmte Optimierungen machen sollte, um den Vergleich von KI und Menschen. Als Aufgabe der Kirchen sehe ich es, dass sie auf diese Herausforderung reagieren. Sie sollten Gesprächsangebote machen, Aufklärung anbieten und den technologischen Wandel verantwortungsvoll begleiten.
Zur Autorin:
Anna Puzio, Jahrgang 1994, ist Philosophin, katholische Theologin und Germanistin. Sie forscht interdisziplinär zu aktuellen Themen der Ethik und Anthropologie. Nach Stationen in Münster, München, Frankfurt am Main und Wien arbeitet sie nun an der Universität Twente (Niederlande). Zurzeit forscht sie an der Universität Oxford.
Ihr Buch:
Anna Puzio: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus. Transcript 2022.