Perfekt unvollkommen: Nachdenkliches von Monika Bylitza
Wer Karriere machen will, sollte Fehler vermeiden. Wirklich? Mit dieser Fehlerkultur haben viele Vorgesetzte ihren Mitarbeitern die Kreativität abtrainiert und vor allem eines geschaffen: angepasste Beschäftigte. Das ist fatal, denn der Wirtschaft fehlen Menschen mit Persönlichkeit, die sich trauen, querzudenken und Dinge infrage zu stellen. Der Ehrgeiz, keine Fehler machen zu dürfen, verwirrt und lähmt.
Nein zur „Nullfehlertoleranz“
Fehler passieren jedem, und Nullfehlertoleranz kann sich heute kein Mensch mehr leisten. Leben Sie damit, Fehler zu machen. Sehen Sie Fehler nicht als Feind, sondern als Chance. Von den Persern heißt es, sie würden in ihre Teppiche absichtlich kleine Fehler einweben, weil sie so angenehmer auf das menschliche Auge wirken. Schade, dass ich keinen Perserteppich besitze – ich würde das sofort überprüfen. Doch würde mir das helfen, oder könnte ich mich auf den Gedanken einlassen, das Fehler zum Leben und in einen Teppich gehören?
Wenn gut nie gut genug ist
Es ist ein Fehler, keine Fehler machen zu wollen. Manche Menschen verschwenden ihr ganzes Leben bei diesem Versuch. Ob etwas ein Fehler ist oder nicht, hängt von Ihrer eigenen Bewertung ab. Der eine sieht in einer vermasselten Chance einen Weltuntergang, der andere kommt zu der Einstellung: Alles ist gut so, wie es gekommen ist.
Im Streben nach Perfektion entsteht ein Tunnelblick, in dem das Wesentliche übersehen wird. Egal, was eine Perfektionistin erreichen will – es ist nie genug. Diese Erfahrungen durfte ich bitter durchleben. Ja, ich bin eine Perfektionistin, doch irgendwann habe ich mich für mutige Unvollkommenheit entschieden. Ich verlasse den Tulmult des Denkens, wenn er in Fragequalen führt, und erlaube mir eine Gedankengeschwindigkeit, die mit meiner Seele behutsam umgeht.
Die Ästhetik des Unvollkommenen
Ein Hoch auf Wabi-Sabi! Das ist eine wundervolle japanische Tradition, die die Vollkommenheit der Unvollkommenheit auf eine ganz besondere Weise ausdrückt. Zerbricht in dieser Kultur ein Gefäß, dass sich schon seit einiger Zeit im Besitz der Familie befindet, wird es auf besondere Weise repariert und erhält dadurch eine besondere Schönheit. Auf keinen Fall werden Gegenstände einfach weggeworfen.
Seit dem 16. Jahrhundert wird die sogenannte Kintsugi-Technik angewendet, bei der die Risse im Material mit Gold aufgefüllt werden. Durch diese Technik entstehen atemberaubende Kunstwerke, denen man ansieht, dass sie einmal zerbrochen waren. Durch die goldgefüllten Risse erhält ein Gegenstand mit Makel eine ganz eigene und vor allem einzigartige Schönheit.
Mir eröffnet diese Lehre einen neuen Blickwinkel, der meine Fehler und Schwächen jenseits des Perfektionismus schön und einzigartig findet. Der Makel wird nicht kosmetisch behandelt, bis er unsichtbar ist, sondern im Gegenteil: er wird im wahrsten Sinne des Wortes vergoldet und hervorgehoben. Ist das nicht genial? Und nein, ich fülle meine Falten nicht mit Gold auf, sondern betrachte sie mit einem wohlwollenden Lächeln.
Weniger performen, mehr sein
Das Leben ist nicht so berechenbar, dass mit einem Gelingen fest gerechnet werden kann. Scheitern ist in jeder Lebenslage eine Möglichkeit. Eine bewusste Lebensführung verzichtet auf die Idee vom perfekten Leben. Das Lesen vieler Worte sättigt den geistlichen Hunger so wenig wie das Lesen einer Speisekarte den leeren Magen füllt. Wenn ich mich mal wieder auf dem Trip befinde, alles perfekt machen zu müssen, erlaube ich mir Gedanken an Wabi-Sabi und ein stilles Gebet. In diesen Momenten verzichte ich auf Schwarz-Weiß-Denken und suche den Blick für das himmlische große Ganze. Meine kleinen und großen Sorgen lege ich vertrauensvoll in Gottes Hand. Das führt meinen Tunnelblick in die Weite, und ich darf erkennen, dass Persönlichkeit überzeugt und nicht das Streben nach Fehlerlosigkeit.
Der Blick auf die machbaren Dinge verhindert komplizierte Denkmanöver. Gerne gebe ich zu, dass ich hier noch blutige Anfängerin bin.
In diesem Sinne: Beweisen Sie Mut zur Unvollkommenheit!
Monika Bylitza