Ist Wettbewerb christlich?

Konkurrenzdenken bringt Innovationen hervor

Wettbewerb kann brutal sein. Andererseits belebt Konkurrenz nicht nur sprichwörtlich das Geschäft – sie ist auch Motor für Erfindungen und Verbesserungen von Produkten wie Dienstleistungen. Über eine ethische Sicht des Wettbewerbs hat sich der Wirtschaftsprofessor Ulrich Blum für „faktor c“ Gedanken gemacht.


Von Ulrich Blum

 

In der modernen Wirtschaftswissenschaft wird gerne der Begriff des Zwecks – neudeutsch purpose – in den Vordergrund gerückt. An ihm sollen sich die Ziele von Unternehmen orientieren. In der Philosophie von Immanuel Kant besitzt der Zweck einen hohen Stellenwert, weil er dem Menschen zugeordnet wird, der niemals Mittel sein darf. In der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard findet das seinen Ausdruck in der Forderung nach einer menschenwürdigen Wirtschaftsordnung. Bei Carl von Clausewitz wird als Zweck das Politische genannt.

 

Im Christentum sind das Humanum – also das menschliche Wesen – sowie die Gottebenbildlichkeit zu nennen. Die beiden ersten Aspekte sind Rezeptionen der christlichen Lehre, der die europäische Kultur viel zu verdanken hat – aber dazu später. Der Schöpfungsauftrag untersetzt diesen Zweck, denn die hierin formulierte Kreativität und damit Innovation sind zentrale Themen der Bibel. Vor allem Papst Johannes Paul II hat mit der Enzyklika „Centesimus Annus“ (1991) für die katholische Kirche hierzu viel beigetragen, denn er macht diese – ganz in ökonomischer Sicht – zu einer Abrechnung mit totalitären, freiheitswidrigen Wirtschaftsverfassungen, weil sie das Schöpferische im Menschen unterbinden. Die Enzyklika stellt einen Friedensschluss mit der marktwirtschaftlichen Ordnung dar, welche die evangelischen Kirchen mit den Reformationen bereits beschritten hatten und die der aktuelle Papst Franziskus in umstrittener Form zu revidieren trachtet („Diese Wirtschaft tötet“ – Enzyklika „Evangelii Gaudium“ 2013).

 

Innovation und Transfer

 

Wettbewerb besteht aus Innovation und Transfer. Wettbewerbsversagen kann also gleichermaßen beim Innovations- oder beim Transferprozess stattfinden, weil entweder das Schöpferische unterbunden wird oder dessen Folgen – also ein Ausscheiden aus dem Markt – nicht zur Wirkung kommen darf. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Institutionen wie die Kirche: ecclesia semper reformanda („Die Kirche ist stets zu reformieren“) ist oft ein Monstranz, eine leere Hülle, ohne Substanz.

  • Ein Zweck des Schöpfungsauftrags ist offensichtlich Innovation! Dieser kann durchaus in Konflikt zu anderen Zwecken stehen, insbesondere dem Humanum. Denn Innovation begünstigt einige, benachteiligt aber andere – und um des Fortschritts willen ist zu fragen, wie vor dem Hintergrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen, also der Aufforderung zur Nächstenliebe aus der Selbstliebe heraus, das Leid oft Unbeteiligter zu rechtfertigen ist – aktuell der sogenannten Globalisierungsverlierer.
  • Diese Balance entspricht der Dialektik aus Wettbewerb und Kooperation, beziehungsweise im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft: Spielzüge sind von Spielregeln zu trennen. Ein sich im institutionellen Wettbewerb bewährender Ordnungsrahmen muss in einer Form anreizkompatibel gestaltet werden, dass es Spaß macht, sich beim Wettbewerb an seine Regeln zu halten. Und wenn doch ein Regelverstoß passiert, greift ein Schiedsrichter ein. Das erinnert an die Spielregeln eines Fußballspiels. In der Praxis – auch das zeigt die Bibel – ist das nicht immer der Fall! Nicht immer werden die Regeln eingehalten, gelegentlich wird auch der Schiedsrichter verprügelt.
  • Sehr oft spielt Gott diesen Schiedsrichter und bleibt dabei tatsächlich selbstkritisch. Die Bibel schildert ihn als einen, der mit sich handeln lässt (Abraham) und den es auch reuen kann, den Menschen ein hartes Gericht anzudrohen (Ninive).
  • Konkurrenz erinnert daran, dass man immer mindestens einen Zweiten braucht, um sich zu messen. Ihn zu eliminieren zerstört auch den Wettbewerb. Das „Wett…“ erinnert daran, dass der Prozess offen ist – er ist ein Entdeckungsverfahren, wie Friedrich August von Hayek

 

Die Bibel und der Wettbewerb

 

Die Bibel verhandelt den Wettbewerb auf drei Ebenen:

  1. Der Konkurrenz der Götter: Das Alte Testament der Bibel (1 Kön 17-18) befasst sich intensiv mit der Frage, welcher Gott der richtige ist und ob das Volk Israel in der Lage ist, mit seinem Gott gegen die anderen Gottheiten zu bestehen – also den „richtigen Gott“ gewählt hat, weil nur ein solcher nachhaltigen Erfolg garantiert. Tatsächlich gelingt das im Bild des Elia, der als Prophet Jahwes die 450 Priester des Baal herausfordert und sie nach seinem Sieg niedermetzeln lässt. Fazit: Es soll nur ein Ordnungssystem geben, und wenn es mehrere gibt, soll sich das bessere durchsetzen.
  2. Der Konkurrenz des Menschen zu Gott: Die Stellung des Menschen zu Gott wird in der Arroganz Jakobs deutlich, der Gott als erste Ich-AG der Welt mit seinem überbordenden Ego herausfordert (Gen 27, 1-45). Mit krimineller Energie bringt er seinen Bruder Esau um eines Linsengerichts willen, das dieser von ihm wegen seines großen Hungers erbittet, um dessen Erstgeburtsrecht und erschleicht sich mit Hilfe der Mutter Rebekka den Segen des Vaters Isaak. Gott lässt den Dingen ihren Lauf, weil er in Jakob den Auserwählten sieht, den er an seinem Scheitern wachsen sehen will. Erst nach der Flucht vor der Rache Esaus ringt Gott ihn nieder und lässt ihn Demut zur Versöhnung und Authentizität gewinnen. Aus ihm wird mit neuem Namen der Stammvater Israels, was einen Weg vom Ich zum Selbst, von der Rivalität zur Kooperation aufzeigt. Fazit: Rivalität muss durch ein Ordnungssystem eingehegt sein, um gesellschaftlich produktiv zu wirken.
  3. Der Konkurrenz unter den Menschen: Der Gedanken des kooperativen Dachs wird hier ergänzt: Zu viel Rivalität unter einem Dach ist nicht erwünscht; das Haus, die Familie, die Sippe sollten Orte des Friedens und der Kooperation sein. Das zu beobachtende Loslassen junger Wilder in Investmentbanken, um sie dort auszupressen und später die Besten von ihnen auszuwählen, schafft auf die Dauer keinen inneren Frieden und erleichtert wahrscheinlich sogar, was beabsichtigt ist, den Wirtschaftskrieg. Beispiele aus der Bibel sind hierfür Abraham, aber auch David und insbesondere Kain und Abel. Fazit: Übertriebene Rivalität kann tödlich enden, und es ist nicht einmal gewährleistet, dass der Sieger auch tatsächlich den Gewinn davonträgt.

Was zulässiges Handeln ist, wird durch das kooperative „Dach“, also eine zugrundeliegende Ethik definiert. Diese legt damit fest, welches Handeln moralisch statthaft ist oder welches nicht. Aber institutioneller Wandel gelingt nur über den Wettbewerb der Institutionen, also einem Löcken gegen den Stachel. Deutlich wird dies in Unterschieden bei der Anerkennung der List als legitime Methode der Dominanzerzielung und der Missbilligung in der Bibel.

 

Wie klug wird man aus Erfahrungen?

 

Das Christentum handelt von unvollkommenen Menschen. Nicht die böse Tat ist automatisch Sünde, diese drückt sich vor allem in der Ferne von Gott aus. Und damit stellt sich die Frage, wie Erkenntnis in die Welt kommt, die auch moralische Kompetenz als Reflektion von Ethik ermöglichen, um eigenes Handeln und damit auch die obengenannte „Ferne“ zu erkennen.

  • Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis mit der Folge, reflektieren zu können. Aber: Reflektion zerstört die Schönheit – Letzteres ein Thema, dem sich der große deutsche Romantiker Novalis gewidmet hat.
  • Was ist Wahrheit?“ fragt Pilatus. Ist Wahrheit ein Konstrukt? Gibt es objektive Wahrheiten? Was ist mit existentiellen Wahrheiten, die sich beispielsweise in Freundschaft, Liebe, im wahren Glauben finden – ein zentrales Thema von Josef
  • Keine Erkenntnis ohne den Willen, sich des eigenen Verstandes zu befleißigen (lateinisch: „sapere aude“, von Immanuel Kant als Wahlspruch der Aufklärung formuliert). In diesem Sinn ist Erkenntnis die Grundlage einer christlichen Wissenschaft, also Theologie.
  • Welche Rolle soll die Realität beim Lernen und dem Prozess des Erkenntnisgewinnens spielen? das ist unter anderem ein Thema der Linguistik zur Rolle der Sprache für das Denken.
  • Wie werden die biologischen Seiten des Menschen im Glauben reflektiert und eingehegt, insbesondere auch die wirtschaftlichen „animal spirits“? Denn die Triebe haben sehr unterschiedliche Begrenzungen; Statussucht ist nahezu unbegrenzt und damit auch Allmachtphantasien, Größenwahn, und so weiter. Man denke an die Ähnlichkeiten des Regelwerks der Zehn Gebote (eher Grenzen des Handels: „Du sollst nicht Marktmacht missbrauchen wider Deinen Nächsten“) mit dem Kartellrecht und der Beichte mit einem Kartellverfahren.

All dies ist eingebettet in ein offenes Menschenbild, einem Menschen als „lernfähiges System“ mit begrenzter Erkenntnisfähigkeit, begrenzter Erfahrungsbildung und damit auch Erfahrungskommunikation.

 

Marktwirtschaft braucht Regeln

 

Die Offenheit des christlichen Menschenbilds des Christentums findet seine Entsprechung in der offenen Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Diese oszilliert zwischen der Belohnung des Tüchtigen und der Zuwendung gegenüber den Schwachen.  Wettbewerb begrenzt Macht durch offenen Markteintritt, und dies ermöglicht es, Talente in der Gesellschaft einzubringen, zunächst zum eigenen Vorteil schließlich aber zum Vorteil aller, auch um Benachteiligte aufzufangen. Gerade unvollkommene Menschen sind infolge begrenzter Erkenntnis- und Erfahrungskapazität auf Innovation angewiesen. Diese zerstört alte Ordnungen, aber das Zerstörte kann neu verwendet werden für den nächsten Aufschwung. Die christliche Ordnung, die das liberale Wettbewerbssystem begründet hat, ist keine Selbstverständlichkeit – ebenso wenig wie die Regelbindung der Weltordnung!

 

Ulrich Blum, Jahrgang 1953, ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zudem hat er den Alexander-von-Humboldt-Lehrstuhl an der University of International Business and Economics in Peking inne. Er hat mehrere Lehrbücher zur Volkswirtschaftslehre, zur Industrie- und Institutionenökonomik und zum Entrepreneurship verfasst oder herausgegeben. Außerdem ist er einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung. Der verheiratete Vater von zwei Kindern ist evangelisch und ein leidenschaftlicher Unterstützer von Kirchenmusik.

 

 

BUCHHINWEIS:

Ulrich Blum: Wirtschaftskrieg – Rivalität ökonomisch zu Ende denken, 1.092 Seiten, 84,99 Euro. Springer (Heidelberg) 2020.

 

 

 

MUT2024 – Be prepared!

 

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MUT2024 vom 27.-29.09.2024 in Schwäbisch Gmünd

Ort: Christliches Gästezetrum Schönblick, Willy-Schenk-Straße 9; 73527 Schwäbisch Gmünd

Termin: 27.-29.09.2024

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