Einfach weniger besitzen

Exklusiv-Interview mit dem Motor der Minimalismus-bewegung Joshua Becker

Minimalismus ist das Gegenprogramm zu Kaufen, Kaufen, Kaufen. Der US-Amerikaner Joshua Becker, ein ehemaliger Gemeindepastor, hat das Thema 2008 entdeckt und schiebt es seitdem durch Blogbeiträge, Bücher und Seminare, weltweit an. Im Gespräch mit faktor-c-Chefredakteur Marcus Mockler antwortet Becker auf die Frage, was Minimalismus mit dem christlichen Glauben zu tun hat: „Alles“.

Herr Becker, Sie haben im vergangenen Jahr alleine auf Facebook 150 Millionen Menschen mit Ihrem Thema Minimalismus erreicht, zwei Prozent der Weltbevölkerung. Worauf führen Sie das Interesse zurück?

 

Zum einen, weil wir einfach alle zu viel Kram besitzen. Die Leute spüren das und leiden darunter in ihren vollgestopften Wohnungen. Sie fühlen, dass es einen anderen Weg geben muss. Zum anderen, weil viele Menschen die Ideen und Gedanken in sozialen Netzwerken teilen. Wer zum Minimalismus gefunden hat, findet darin so viel Frieden und so viele Chancen, dass er das anderen gerne mitteilen will.

 

In einem Satz: Was ist ein Minimalist?

 

An der Oberfläche bedeutet es, nur die Dinge zu besitzen, die man wirklich braucht. Eine tiefere Definition sagt: Minimalismus ist die zielgerichtete Förderung der Dinge, die für uns den größten Wert haben – indem wir alles beseitigen, was uns davon ablenkt. Dadurch bekomme ich mehr Energie für das, was wirklich wichtig ist. Und es geht dabei nicht nur um materiellen Besitz.

 

Das Problem sind aus Ihrer Sicht nicht nur die vielen Gegenstände, sondern auch die vielen Ablenkungen, etwa durch das Smartphone. Haben wir heute unseren Fokus verloren?  Wie sieht die Therapie aus?

 

Ja, Technologie ist in unserer Gesellschaft zu einer großen Ablenkungsquelle geworden. Das ist nicht neu, das hat man schon bei der Einführung des Fernsehers beklagt, aber es ist stärker denn je. Auch Geld und Besitz können uns ablenken. Die Therapie: Wir müssen uns völlig klar werden, was im Leben wirklich wichtig ist. Und dann müssen wir jeden Tag hart daran arbeiten, die Dinge zu überwinden, die uns davon ablenken wollen. Als Christ würde ich natürlich sagen, dass Jesus Christus am allerwichtigsten ist. Aber selbst das wirkt sich in im Leben unterschiedlicher Christen ganz verschieden aus. Bei einem Pfarrer ist es ganz anders als bei einem Geschäftsführer.

 

Als Unternehmer anderen dienen

 

Taugt Minimalismus für Führungskräfte?

 

Sie müssen das erst mal für sich persönlich entdecken und in ihrem Leben anwenden. Da geht es um Fragen: Wer bin ich als Person und was sind meine Werte? Wie definiere ich Erfolg? Das Ziel eines Unternehmens sollte sein, anderen Menschen zu helfen und ihnen zu dienen. Dieses Ziel bringt ein Unternehmen hervor, auf das wir stolz sein können. Dazu muss man vielleicht kein Minimalist sein, aber diese Fokussierung ist dem Minimalismus schon sehr nahe.

 

Ist Minimalismus eine sinnvolle Reaktion auf Inflation und Wirtschaftskrise?

 

Ja. Ich habe den Minimalismus 2008 entdeckt, als wir in den USA eine leichte Rezession hatten. Wirtschaftliche Wirren sind eine großartige Zeit, um in den Minimalismus einzusteigen. Es gibt ja auch die Gegenreaktion der Hamsterkäufe, aus Angst vor einer ungewissen Zukunft. Viel besser ist es aber zu entdecken, wie wenig ich tatsächlich brauche, um gut zu leben. Dann höre ich auf, Geld für Dinge zu verschwenden.

 

„Fange klein an, aber fange an“

 

Wie steigt man am besten in einen minimalistischen Lebensstil ein?

 

Meine wichtigste Regel: Fange klein an, aber fange an. Viele machen den Fehler, dass sie auf dem Dachboden oder im Keller mit dem Entrümpeln beginnen. Und dort fragt man sich zum Beispiel: Wie kann ich mich von den Fotoalben trennen? Da sind sehr harte Entscheidungen zu treffen. Ich suche deshalb einen Raum aus, in dem es leicht ist. Vielleicht ist es das Auto, wo wir viel Zeit verbringen und das wir von unnützem Zeug befreien können. Trage raus, was du nicht brauchst. In wenigen Stunden kannst du ein völlig neues Lebensgefühl herstellen. Das motiviert uns, in den nächsten Raum zu gehen oder uns an die Garage zu machen.

 

Aufräum-Expertin Maria Kondo fragt bei Dingen, die wir behalten wollen: „Lösen sie Freude in uns aus?“ Nach Ihrer Ansicht sollten wir aber besser fragen „Fördert es ein Ziel?“ Warum ist Ihre Frage besser?

 

Weil die meisten Menschen ja Dinge genau deshalb kaufen, weil das in ihnen Freude auslöst. Die Frage von Maria Kondo ist auch ein bisschen selbstbezogen, egoistisch. Als Nachfolger von Jesus Christus sollen wir selbstlos sein und anderen dienen. Deswegen sollte die Frage nicht sein, ob ich die Dinge behalte, die mich glücklich machen, sondern ob ich die Dinge behalte, die mir helfen, die Person zu werden, die Gott nach besten Kräften dient.

 

Was die Wirtschaft braucht

 

Mancher Unternehmer hat Angst: Wenn der Minimalismus wächst, schrumpft die Wirtschaft. Eine berechtigte Sorge?

 

Minimalismus bedeutet nicht, dass wir aufhören, Geld auszugeben. Er bedeutet, Geld für andere Sachen auszugeben. Die Wirtschaft muss sich dann natürlich wandeln. Weg davon, dass Menschen Dinge kaufen, die sie nicht brauchen. Die Leute kaufen auch weiterhin materielle Dinge, aber vielleicht von höherer Qualität oder von einem besseren Nutzen. Auch Dienstleistungen gewinnen an Bedeutung oder Reisen oder Geld für soziale Organisationen.

Eine Wirtschaft, die komplett davon lebt, Menschen davon zu überzeugen, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, kann ohnehin nicht überleben. Am Ende fällt so eine Wirtschaft von der Klippe. Uns werden die Ressourcen ausgehen.

 

Was ist denn für Sie wirklich wichtig?

 

Drei Dinge. Erstens möchte ich der bestmögliche Nachfolger Gottes sein, der ich sein kann. Zweitens möchte ich meine Familie lieben, meine Beziehungen pflegen, zuerst die zu meiner Frau und zu meinen Kindern. Drittens möchte ich den größtmöglichen Einfluss auf diese Welt ausüben, den ich in meiner Lebenszeit ausüben kann.

 

Was am Lebensende zählt

 

Sie sagen in Ihren Büchern: „Niemand wird bei unserer Beerdigung unsere teure Couch oder unsere edlen Schuhe loben“. Was zählt am Ende unseres Lebens?

 

Es wird zählen, was wir in ihrem Leben zum Besseren verändert haben. Haben wir geliebt? Waren wir Vorbilder? Wie sehr wir geliebt haben, wird viel wichtiger sein, als was wir gekauft haben.

 

Wie hängen Dienen und Glück zusammen?

 

Alle Studien, die es zu diesem Thema gibt, sagen: Wer anderen hilft, wer ehrenamtlich arbeitet, wer spendet, wer großzügig ist, wer anderen dient – der erreicht das Ende seines Lebens mit einem höheren Niveau von Zufriedenheit, von Sinn und Erfüllung und Wohlbefinden. Ich habe gelernt: Die Wissenschaft holt immer wieder die Bibel ein. Denn das ist total nachvollziehbar, weil uns Gott so geschaffen hat, damit wir etwas für andere Menschen bedeuten. Es gibt eine voll sinnvollere Art zu arbeiten, als nur Dollars zu verdienen.

 

Sie haben einen Master in Theologie. Was hat Minimalismus mit dem christlichen Glauben zu tun?

 

Alles. Jesus sagt an so vielen Stellen, dass wir unseren Besitz loslassen sollen, dass wir uns den Armen zuwenden sollen, dass wir Schätze im Himmel sammeln sollen, dass es im Leben nicht um Materielles geht. Er erzählt von dem reichen Narren, der die größere Scheune baut und dafür getadelt wird. Die Verbindung zum Minimalismus findet sich überall. Jesus lädt uns ein, weniger zu besitzen. Johannes der Täufer wurde gefragt, wie man sich auf das Reich Gottes vorbereiten kann, und er sagte: Wer zwei Hemden hat, gebe dem eines, der keines hat (Lk 3,11). Es gehört also zur Vorbereitung auf den Messias, sich von Besitz zu trennen.

Ich bin ja durch eine Nachbarin zu Minimalismus gekommen, sie war meines Wissens keine Christin. Ich hatte von den Predigten aus meiner Heimatgemeinde mitgenommen, dass Jesus will, dass wir alles hergeben. Das sah für mich nach einem ziemlich langweiligen Leben aus. Als ich dann angefangen habe, mich von Sachen zu trennen, habe ich ein Leben entdeckt, das tiefe Freude bringt. Ich kann mehr Geld und mehr meiner Zeit Gott widmen. Ich kann anderen besser helfen und Erfahrungen im Reich Gottes machen. Da steckt viel mehr Freude drin.

 

Dinge machen nicht glücklich

 

Sie bekennen sich in Ihren öffentlichen Äußerungen zum christlichen Glauben, stellen ihn aber nicht in den Mittelpunkt von Büchern und Blogbeiträgen. Betrachten Sie sich also nicht als Missionar?

 

Ich habe begonnen, über Minimalismus zu schreiben, als ich noch Pastor war. Auf einen Blogbeitrag, wo es ohne Bezug auf die Bibel um Ordnung und mehr Platz im Haus ging, reagierte eine Frau in den Kommentaren. Sie schrieb: „Das hilft mir sehr, danke, dass du deine Ideen hier geteilt hast.“ Ich habe mir dann ihre Internetseite angeschaut und festgestellt, dass sie zur Wicca-Bewegung gehörte, einem Hexenkult. Und dennoch hat sie meinen Blog gefunden und wurde dadurch gesegnet.

Mir wurde klar, dass die Botschaft von Minimalismus Menschen hilft – egal, woran sie glauben oder nicht glauben. Tatsächlich möchte ich diese Botschaft so kommunizieren, dass sie bei jedem Resonanz finden kann. Wenn ich jemanden dahin bringen kann, dass er sein Glück nicht mehr im Materiellen sucht, dann wird er es woanders suchen müssen. Vielleicht findet er dann Jesus, vielleicht auch nicht. Minimalismus öffnet Menschen für die Fragen des Glaubens.

 

Wir danken für das Gespräch.

 

 

Minimalismus ist ein Lebensstil, der sich freiwillig auf das Einfachste begrenzt. Dazu gehört beispielsweise, nur das Nötigste für ein gutes Leben zu besitzen. Die Quellen für diese Bewegung sind verschiedene: Konsumverweigerer, Öko-Freaks, Kapitalismuskritiker gehören dazu, aber auch viele religiöse Menschen wie Buddhisten oder Christen. Minimalismus setzt einerseits auf Konsumverzicht, andererseits auch auf Digitalisierung, weil etwa Filme, Musik und Bücher als Dateien auf dem Computer oder als Internetstream in der Wohnung keinen Platz mehr beanspruchen.

Joshua Becker, Jahrgang 1974, ist US-Amerikaner und ehemaliger Gemeindepastor. 2008 entdeckte er den Minimalismus für sich. Er begann, über das Thema zu publizieren. Heute gehört er zu den weltweit bekanntesten Förderern der Minimalismus-Bewegung. Becker wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern im US-Bundesstaat Arizona. Am 19. April erscheint auf Deutsch sein Buch „Die Kraft des Seinlassens“ im Bonifatius-Verlag (Paderborn).

www.becomingminimalist.com (engl.)

 

 

 

 

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