„Ein Christ kann in jeder Wirtschaftsform überleben“
Der Ökonom und Christ Werner Lachmann zu aktuellen Herausforderungen
Professor Werner Lachmann hat sein Berufsleben den Wirtschaftswissenschaften gewidmet; Dabei ist dem Gelehrten und bekennenden Christen immer die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Ethik wichtig gewesen. Im Gespräch mit faktor c erklärt er, warum die gegenwärtige Inflation nur wenig mit dem Ukraine-Krieg zu tun hat und warum Christen nicht Sozialisten sein sollten.
Herr Prof. Lachmann, Deutschland hat eine Inflation wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wieso?
Die gegenwärtige Inflation hat mehrere Ursachen. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Milton Friedman hat einmal gesagt: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Problem.“ Steigt die Geldmenge stärker als die Produktion, steigen auch die Preise. Die Bundesbank hat das früher sehr beherzigt, die D-Mark war eine starke und stabile Währung. Das Ziel der Bundesbank war, über Geldmengen-Politik die Inflation niedrig zu halten.
Und das klappt nun nicht mehr?
Die Europäische Zentralbank, die EZB, hat ihr Hauptziel, für Geldwertstabilität zu sorgen, verlassen und versucht, den Bankrott von südeuropäischen, hoch verschuldeten Staaten zu verhindern. Das ist aber eigentlich gar nicht ihre Aufgabe. Diese Staaten konnten ihre Zinslast nicht mehr stemmen. Gleichzeitig wollten sie nicht sparen, denn es ist politisch leichter, Geld auszugeben. Diese Staaten bekamen mit der Einführung des Euro kostenlos eine inflationsfreie Währung, haben sich dann aber weiter verschuldet. Die EZB hat die Schrottpapiere insbesondere von Italien, Spanien und Frankreich aufgekauft und dafür Kredite über 3,6 Billionen Euro gewährt. Sie kann ja nicht pleitegehen, sie kann ihr eigenes Geld machen.
Inflations-Verstärker
Warum ist das ein Problem?
Wegen der Geldschwemme steigt die Nachfrage, und damit steigen auch die Preise. Und die Inflation fördert das noch einmal, denn wenn ich weiß, dass mein Geld morgen unterm Strich weniger wert ist, dann gebe ich es lieber heute aus. Also steigt die Nachfrage noch stärker.
Liegen hier auch Gründe für die rapide gestiegenen Energiepreise, was ja durch die Energiewende und den Ukraine-Krieg noch einmal verschärft wird?
Für Politiker sind solche Ereignisse willkommene Erklärungsmodelle, weil dann die Schuld bei anderen liegt. Dabei hat die Politik zu wenig auf einen gesunden Wettbewerb im Energiesektor geachtet. Gerade im Bereich des Gases haben wir keinen großen Wettbewerb. Ein funktionierender Markt verlässt sich immer auf unterschiedliche Quellen.
Wie soll ein Christ in der Wirtschaft nun mit dieser Situation umgehen? Es reicht ja nicht, sich als Opfer der Umstände zu betrachten.
Ein Christ sollte gute Arbeit leisten, das ist das Entscheidende. Er darf und muss dabei Gewinne machen, sollte sich aber nicht an unfairem Handel beteiligen. Wer zu hohe Gewinne machen möchte, nutzt Situationen aus. Das tun wir zum Beispiel teilweise mit Leiharbeitern, etwa aus Polen und Rumänien. Arbeitnehmer sollen anständig bezahlt werden. Das stellt Zufriedenheit her und ein zufriedener Mitarbeiter leistet mehr als jemand, der ständig unter seiner Situation leidet. Gegen die großen Akteure, etwa die Konzerne, lässt sich natürlich wenig ausrichten. Dazu müssten wir eher politisch ein wenig aktiv werden und beispielsweise unsere Bundestagsabgeordneten darauf aufmerksam machen, dass die deutsche Wirtschaft vom Mittelstand lebt. Politiker sind leider oft nur an großen Konzernen interessiert.
Der Staat macht zu viel
Ihr bekanntestes Zitat lautet: „Die Marktwirtschaft funktioniert auch mit Sündern, der Sozialismus hingegen nur mit Engeln.“ Sehen Sie heute noch Anfälligkeiten für sozialistische Ideen?
Ja. Der Staat übernimmt immer mehr Aufgaben. Das beginnt bei der Schule und der Bildungspolitik, geht weiter zu dem Leitbild, Frauen müssten erwerbstätig sein. Das ist ja fast Propaganda, dass eine Frau, die Hausfrau ist, nichts tut. Das Abgeben von Kindern an Institutionen wird dagegen gewürdigt. Da liegt sehr vieles im Argen. Man erwartet zu viel vom Staat, und der macht‘s ja auch. Es besteht immer die Gefahr, dass wir zu viel auf den Staat abwälzen und zu viel Eigenverantwortung abbauen. Wenn dann auch noch alles einheitlich geregelt werden muss, zum Beispiel auf EU-Ebene, dann ist das Sozialismus.
Lebt unsere Soziale Marktwirtschaft noch?
Sie hat an Einfluss verloren. Der Wettbewerb ist in Deutschland nicht mehr so hoch, wie er vor 40, 50 Jahren noch war. Wir haben mehr Machtwirtschaft als Marktwirtschaft. Die großen Konzerne kriegen bei den Politikern alles durch, der Kleine hat nicht so viel Einfluss. Es gibt Bereiche, in denen der Wettbewerb noch sehr gut funktioniert, etwa im Lebensmittelhandel. Im Vergleich zu Frankreich oder den Niederlanden sind bei uns deshalb viele Preise günstiger.
Müssen Christen für die Soziale Marktwirtschaft sein?
Ein Christ kann in allen Wirtschaftsformen überleben. Der alttestamentliche Josef hat in einer Diktatur gelebt und sogar selbst alles für den Pharao in Ägypten aufgekauft. Das ging wahrscheinlich damals nicht anders. Vor 50 Jahren war aber die Mehrheit auch unter den christlichen Organisationen der Überzeugung, ein Christ müsse Sozialist sein. Die Ziele des Sozialismus sind ja gut. Die Frage ist aber: Wie erreicht man diese Ziele? Die Soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsform, die dem Christentum am nächsten steht.
Wie denken Sie über das bedingungslose Grundeinkommen?
Das bedingungslose Grundeinkommen gewährt allen einen bestimmten Betrag – ob sie den nun brauchen oder nicht. Das ist etwas seltsam. Und dann frage ich: Wie reagiert der Mensch darauf? Arbeitet er dann noch oder schimpft er nur, dass der Betrag nicht hoch genug ist? Das ist hochproblematisch, wenn jeder nur etwas haben will, aber dafür nichts geleistet wird. Insofern scheint mir das auch nicht biblisch zu sein. Dem Ökonomen stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll. Die Kosten muss man dann auf Steuern umlegen. Also müssen die Verbraucherpreise stark steigen, wenn man das beispielsweise auf die Mehrwertsteuer umlegt. Wir müssen Anreize setzen, dass der Mensch selbst etwas tut, um zu seinem Einkommen beizutragen. Soziale Leistungen können auch korrumpieren. Genaugenommen haben wir mit den Sozial- und Hartz-Gesetzen ja bereits eine Lösung, damit die Leute nicht durchs soziale Netz fallen, sondern sich eine einfache Grundversorgung leisten können.
Fragwürdige Klimapolitik?
Über das Dogma der Grünen, konsequent auf erneuerbare Energien umzustellen, wird in der Wirtschaft viel geschimpft. Aber leistet die Partei damit nicht einen wesentlichen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung?
Ich befürchte, da habe ich eine abweichende Meinung. Den Klimawandel gibt es für mich ohne Zweifel. Aber es hat in den vergangenen Jahrtausenden immer wieder Zeiten gegeben hat, die viel wärmer und die viel kühler waren. Ein Wechsel des Klimas ist also normal. Die Ursachen sind jedoch vielfältig. Dass jetzt alles nur am CO₂ liegen soll, halte ich für fragwürdig. Da gibt es in der Wissenschaft unterschiedliche Meinungen. Die Gesamtrechnung für Windkraft und Photovoltaik sieht vielleicht auch nicht ganz so gut aus, wenn ich allein an die Entsorgung alter Anlagen denke. In der Wirtschaft ist eigentlich langfristiges Denken gefordert.
Die europäische Wirtschaft hat sich von fragwürdigen Staaten abhängig gemacht, etwa von russischem Gas oder chinesischer Elektronik. Was müsste sich ändern?
Der Ökonom rät immer dazu, zu diversifizieren. Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen. Wenn der kaputt geht, geht alles kaputt. Wir haben uns zu wenig überlegt, was alles passieren könnte und wie man sich vor kritischen Situationen schützen könnte. Das gehört zum wirtschaftlichen Denken unbedingt dazu. Aber ich gebe zu, auch ich hätte keinen Krieg in der Ukraine prognostiziert. Klar ist: Die Wirtschaft sollte eigentlich langfristig denken und planen, und zwar auch für unvorhergesehene Momente.
Menschen retten
Wo sehen sie heute die Verantwortung von Christen in der Wirtschaft?
Natürlich haben wir eine Verantwortung für die Umwelt, und viele Christen haben diese Umwelt zu lange vernachlässigt. Umwelt darf aber nicht zum Ersatzgott werden. Das Wichtigste muss das Wichtigste bleiben, wir glauben an Jesus Christus und die Rettung der Seelen. Gleichzeitig haben wir das Problem, dass viele Christen einfach Trends hinterhertrotten, anstatt gesellschaftliche Probleme aus biblischer Sicht anzugehen.
Der Themenkreis „Christ und Wirtschaft“ wird oft zuerst unter ethischen Gesichtspunkten gesehen, also: Wie soll man als Christ handeln? Ist das gut – oder ein Missverständnis?
Mir geht es darum, dass Menschen gerettet werden. Ich bin in Essen bei Wilhelm Busch zum Glauben gekommen, das hat mich geprägt. Wer anfängt, an Jesus Christus zu glauben, zieht natürlich auch Konsequenzen. Ein guter Baum bringt gute Früchte, hat Jesus Christus gesagt. Wenn jemand Christ ist, dann wird man das merken. Aber nicht bei allen gleich. Denn wir haben unterschiedliche Temperamente. Entscheidend ist, dass ich echt bekehrt bin. Die ethischen Konsequenzen sind dann die Folgen.
Sachverstand fehlt
Sie haben die „Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaft und Ethik“ (GWE) gegründet. Warum braucht es die GWE heute noch?
Mit der GWE wollten wir zwei Dinge tun: Wir wollten im kirchlichen Bereich ökonomischen Sachverstand hineinbringen. Und wir wollten in die Wirtschaft mehr Ethik hineinbringen und die Bedeutung des Glaubens für die wirtschaftliche Entwicklung untersuchen.
Haben Sie ihre Ziele erreicht?
Die GWE gibt es noch, und sie leistet eine gute Arbeit. Ich bin ihr Ehrenvorsitzender. Aber ich muss zugeben: Mehr ökonomischen Sachverstand bei den Kirchen erkenne ich heute kaum. Da waren wir nicht sehr erfolgreich. Eine geistliche Sicht auf gesellschaftliche Ereignisse fehlt ebenfalls. Die Führungsriege in der Kirche haben zu wenig erreicht. Mehr erreicht wurde beim Thema Ethik in der Wirtschaft. Das Verständnis für ethische Belange ist gewachsen.
Wir danken für das Gespräch.
Werner Lachmann, Jahrgang 1941, war Professor für Wirtschaftspolitik und Entwicklungsökonomik, zuletzt an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er kam bei dem Essener Jugendpastor Wilhelm Busch zum christlichen Glauben. 1988 gründete er die Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik (GWE). Er schrieb sieben Lehrbücher. Außerdem hat er zahlreiche Werke zu Wirtschaft und Ethik publiziert. Als Gastdozent war er europa und weltweit unterwegs, von Kolumbien bis Australien, von China bis Usbekistan. Lachmann ist verheiratet, Vater von sieben Kindern und Großvater von zwölf Enkeln.