Der Starke hilft dem Schwachen
Wir sind die erste Generation, die die Mittel und Technologien besitzt, eine bessere, gerechtere Welt zu schaffen. Grundsätze eines Bundesministers für das Leben im 21. Jahrhundert – Ein Buchauszug
Er ist in der deutschen Bundesregierung für das globale Miteinander zuständig:
Gerd Müller, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat im Mai sein neues Buch „Umdenken“ vorgelegt, in dem er sich den Überlebensfragen der Menschheit zuwendet. Darin stellt sich der CSU-Politiker den Herausforderungen von Bevölkerungswachstum, Ökologie und internationaler Solidarität. Wir drucken Auszüge.
Neue globale Herausforderungen erfordern einen Paradigmenwechsel unseres Tuns. Die Weltbevölkerung wird in den kommenden 30 Jahren um circa 80 Millionen Menschen jährlich wachsen. Zwei Drittel des Bevölkerungswachstums findet in den Entwicklungs- und Schwellenländern statt. Afrika wird bis 2050 die Bevölkerungsgröße verdoppeln. Europas Schicksal, Risiken wie Chancen, sind eng mit dem afrikanischen Kontinent verbunden. Ein neuer EU-Afrika-Pakt muss ein Jahrhundertvertrag werden und vier zentrale Themen umfassen. Er muss erstens ein Pakt gegen Hunger und Armut sein. Zweitens muss die EU den geplanten Green New Deal zu einer Klimapartnerschaft mit Afrika ausweiten. Notwendig ist drittens ein Abkommen der EU mit der Afrikanischen Union über Sicherheit und geregelte Migration, und erforderlich ist schließlich viertens ein Neuansatz für faire Handelsbeziehungen.
Eine Welt ohne Hunger ist möglich
Unser heutiges Wissen und moderne Technologien machen es möglich, eine Welt ohne Hunger zu schaffen. Agrarwissenschaftlerhalten dafür zusätzliche jährliche Investitionen in Landwirtschaft und ländliche Entwicklung in einer Größenordnung von 30 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2030 für erforderlich. Der Belastungsdruck auf die natürlichen Ressourcen des Planeten steigt gewaltig an. Der Wasserverbrauch hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht, der CO2-Ausstoß vervierfacht und die Weltwirtschaftsleistung verzehnfacht. Der Planet hat Grenzen, und seine Ressourcen sind endlich.
Klimaschutz: Überlebensfrage der Menschheit
Der Klimaschutz und das Erreichen des Zwei-Grad-Zieles sind eine Überlebensfrage der Menschheit. Industriestaaten tragen hier eine herausgehobene Verantwortung. Die entscheidende Frage ist, ob sich industrielles Wirtschaftswachstum und daraus resultierende CO2-Emissionen entkoppeln lassen. Allein um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die weltweiten Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 sinken. Ohne einschneidende Maßnahmen in China, Indien und auf dem afrikanischen Kontinent ist dies nicht zu erreichen. Klimaschutz ist eine internationale Herausforderung und entscheidet sich ganz wesentlich in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Notwendig ist ein gezielter lnvestitions- und Technologietransfer.
Globale Verantwortungsethik
Eine neue Verantwortungsethik und ein Umdenken bezüglich des Wachstums, der Lebensformen und des Konsums sind erforderlich. Neue Erkenntnisse, Technologien, Wissens- und Wohlstandstransfer zwischen Reich und Arm sind unabdingbar. Wir leben in einem globalen Dorf, alles hängt mit allem zusammen. Dies erfordert ein neues Denken, globale Verantwortungsstrukturen und globale Marktregeln, die den Charakter einer ökologisch-sozialen Weltwirtschaft haben müssen. Die globalen Lieferketten sind bisher äußerst ungerecht gestaltet. Die Arbeitslöhne der Näherinnen in Asien und der Arbeiter auf den Kakaoplantagen und in den Coltanminen betragen nur wenige Cent pro Stunde. Wir brauchen faire Lieferketten mit sozialen und ökologischen Mindeststandards entlang der Produktionsketten.
Globalisierung gerecht gestalten
Frieden für das Zusammenleben im globalen Dorf setzt eine gerechte Weltordnung mit einem fairen Interessenausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Industrieländern und Schwellen- und Entwicklungsländern voraus. Markt und Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand sind kein Selbstzweck. Wirtschaft muss dem Menschen dienen. Unser Tun in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft muss in Verantwortung vor der Schöpfung und vor den kommenden Generationen erfolgen. Hierzu zählt auch ein Bekenntnis zu ethischen Grenzen menschlichen Tuns. Wir stehen an einer Weggabelung und sind die erste Generation, die den Planeten mit ihrem Konsum und Wirtschaften an den Rand des Abgrundes bringen kann. Wir sind aber auch die erste Generation, die die Möglichkeiten und Instrumente besitzt, eine Welt ohne Hunger zu schaffen und ein Leben in Würde für alle zu ermöglichen. Wissen allein genügt aber nicht. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Jeder an seiner Stelle. Und wir müssen handeln: jetzt und jeder!
Verantwortung vor Gott
Wir brauchen dringend eine neue weltweite Verantwortungsethik. Die Menschheit ist aufgefordert, Änderungen insbesondere im Lebensstil, der Produktionsweise und im Konsum vorzunehmen. Führen wir den Planeten an den Rand der Apokalypse, oder besinnen wir uns. Wir sind die erste Generation, die die Mittel und Technologien besitzt, eine bessere, gerechtere Welt zu schaffen. Wir sind Teil eines großen Ganzen. Jahrmilliarden existiert das Sonnensystem. Lange bevor es den Menschen auf dieser Erde gab, gab es Leben. Als Christen stehen wir in der Verantwortung vor Gott und den kommenden Generationen, die Schöpfung zu bewahren. Nachhaltigkeit muss das Prinzip all unseres Tuns sein: ökologisch, ökonomisch, sozial und kulturell.
Acht Leitmotive für unser Tun (Aus dem Buch „Umdenken“ von Bundesminister Gerd Müller)
- Du sollst nicht töten
Christen stehen für Frieden und Versöhnung. Deshalb gilt es, die Weltrüstungsspirale zu stoppen. 1.800 Milliarden Dollar pro Jahr für Rüstung und Militär stehen 170 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gegenüber. Mit einer zusätzlichen Investition von 30 Milliarden Dollar pro Jahr in den nächsten zehn Jahren könnten wir eine Welt ohne Hunger schaffen. - Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben in Würde
Wir achten jeden Menschen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Geschlecht oder ökonomischer Leistungsfähigkeit. Wir stehen für Humanität, Toleranz und Einhaltung der Menschenrechte als globale Wertegrundlage eines friedlichen Miteinanders, eines Weltethos der Weltreligionen und des interkulturellen Humanismus, die uns verbinden und verpflichten.Wir achten jeden Menschen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Geschlecht oder ökonomischer Leistungsfähigkeit. Wir stehen für Humanität, Toleranz und Einhaltung der Menschenrechte als globale Wertegrundlage eines friedlichen Miteinanders, eines Weltethos der Weltreligionen und des interkulturellen Humanismus, die uns verbinden und verpflichten. - Wir kämpfen für Gerechtigkeit
Die Schere zwischen Arm und Reich darf innerhalb unserer Gesellschaften, aber auch zwischen Nord und Süd nicht weiter auseinandergehen. Wenn 10 Prozent der Weltbevölkerung heute 90 Prozent des Vermögens des Planeten besitzen und 80 Prozent der Ressourcen von 20 Prozent der Menschheit für ihren Konsum- und Lebensstil verbraucht werden, dann müssen wir diese ungerechten Verhältnisse beseitigen. Die internationalen Märkte brauchen Regeln und eine Verpflichtung auf soziale und ökologische Mindeststandards, sie brauchen das Modell einer globalen ökologisch-sozialen Marktwirtschaft. - Wir müssen neu teilen lernen
Täglich sterben 15.000 Kinder. Der Hungerindex weltweit nimmt wieder zu. Es sind schon heute genügend Nahrungsmittel da, um zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten zu ernähren. Aber dafür ist eine andere Verteilung von Kaufkraft erforderlich. Daran gilt es zu arbeiten und die Augen nicht vor dem Elend zu verschließen. - Wir müssen die Schöpfung bewahren
Jahrmilliarden existiert das Sonnensystem. Lange bevor es den Menschen auf dieser Erde gab, gab es das Leben. Wir haben nicht das Recht, über unsere Verhältnisse und zulasten kommender Generationen zu leben - Der Starke hilft dem Schwachen
Wir müssen die Globalisierung der Gleichgültigkeit überwinden und eine neue Partnerschaft der Reichen mit den Armen, des Nordens mit dem Süden, Europas mit Afrika umsetzen. Eine faire Partnerschaft statt Ausbeutung von Mensch und Natur muss unser Grundsatz sein. - Zukunft braucht Werte
Immer mehr, immer weiter, immer schneller — das kann nicht das Grundmotiv unseres Seins und Sinn des Lebens sein. Wir brauchen Frieden mit uns und dem Planeten. Frieden nach innen mit uns selbst und nach außen mit unseren Nachbarn, in der Familie, in der Gemeinde, Frieden unter den Völkern. - Religionen müssen zusammenfinden zu einem verbindenden Weltethos zur Schaffung von Frieden und Gerechtigkeit
Die Botschaft muss lauten: Lass niemanden zurück. Der Starke hilft dem Schwachen. Jeder hat ein Recht auf ein Leben in Würde. Wir müssen mutiger, hörbarer und entschlossener auftreten und die Welt zu einem friedlicheren, gerechteren, besseren Ort machen. Und uns selbst dabei nicht so wichtig nehmen, denn es gibt noch einen über uns, der die Dinge lenkt.
Buchhinweis
Hans Jürgen Arens, Michael vom Ende (Hg.): Führen durch Dienen. Perspektiven, Reflexionen und Erfahrungen zur Praxis von Servant Leadership. 174 Seiten, 34,95 Euro. Erich Schmidt Verlag (Berlin) 2021
Dr. Gerd Müller : Umdenken: Überlebensfragen der Menschheit. (Deutsch) Gebundene Ausgabe, 200 Seiten, 20 Euro. Murmann Publishers; 4. Edition (19. Mai 2020)