Denkmuster sprengen
Wie Weisheit zu einer besseren Führungskraft macht
Weisheit – das Wort klingt wie eine Tugend aus längst vergangenen Zeiten. Dabei lässt sich aus der Weisheitsliteratur vieles für heute lernen, gerade für das Führen von Menschen. Ein Pastor für Führungskräfte zeigt, wie sich Weisheit ausdehnen und dabei Denkmuster sprengen kann.
Peer-Detlev Schladebusch
Weises Führungsverhalten kann eine enorme Auswirkung haben – aber die Maßnahmen mit der entscheidenden Auswirkung sind zugleich häufig die „leisen“. Zur richtigen Zeit, an der richtigen Stelle tiefgreifende, nachhaltige, zukunftsfähige Verbesserungen bewirken, setzt weises Handeln voraus. Das Beschäftigen mit Weisheit in der Führung bedeutet, sich mit dem Ganzen und den eigenen Denkmustern auseinanderzusetzen. Es gibt keine einfachen Regeln dafür, wie man weise handelt, aber es gibt Denkungsarten, welche es wahrscheinlicher machen.
Weisheit als Kardinaltugend
Ist Weisheit überhaupt noch gefragt? Geht es heute nicht viel mehr um Good Governance, Strategie, schnellen Erfolg, immer bessere Quartalsergebnisse, Klicks und Likes in Social Media? Da ist Weisheit die lahme Ente, die milde belächelt wird. Etwas für alte Leute, die nichts mehr erreichen müssen und kurz vor dem Lebensende bestenfalls die Weisheit und Ruhe des Alters ausstrahlen.
Anders beim griechischen Philosophen Platon im 4. Jahrhundert vor Christus: Für ihn zählt die Weisheit zu den vier Kardinaltugenden. Sie sind die Dreh- und Angelpunkte des Lebens seit der antiken Philosophie. Bildlich gesehen wie bei einer Tür, die sich nur problemlos bewegen, öffnen und schließen lässt, wenn sie ordentlich aufgehängt ist. Sie sind Voraussetzungen einer Haltung, die zu gelingendem Leben in Gemeinschaft beiträgt. Die antike Welt hat hier so etwas wie eine humane Grundhaltung entwickelt, die sich in ihrem Kulturraum immer mehr verbreitet und gefestigt hat. Das Neue Testament schließlich verbindet die antike Suche nach Weisheit mit der Beziehung zum Schöpfer, Erlöser und Tröster. Glauben, Denken, Sagen und Tun gehören hier ganz eng zusammen.
Wenn es an Weisheit mangelt . . .
Jakobus, der Bruder von Jesus Christus, schafft aus seinem jüdischen Hintergrund heraus die Transformation zu einem christlichen Weisheitsverständnis, das insbesondere die Klosterkultur Europas und damit auch seine Wissenschaftsoffenheit geprägt hat und auch wesentliche Grundlage der Innovationsoffenheit der westlichen Welt bis heute ist.
In einem Brief schreibt er (Jakobus 1,5-12):
Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern und ohne Vorwurf gibt; so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer zweifelt, der gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und aufgepeitscht wird. Ein solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde. Ein Zweifler ist unbeständig auf allen seinen Wegen. Der Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe; wer aber reich ist, rühme sich seiner Niedrigkeit, denn wie eine Blume des Grases wird er vergehen. Die Sonne geht auf mit ihrer Hitze und das Gras verwelkt, und die Blume fällt ab und ihre schöne Gestalt verdirbt: So wird auch der Reiche dahinwelken in dem, was er unternimmt. Selig ist, wer Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn liebhaben.
Enorme Sprengkraft
Wir sind andererseits heute vielfach so sehr von diesem neutestamentlichen Weisheitsverständnis entfernt, dass es eine enorme Sprengkraft für unsere eingefahrenen Denkmuster in sich birgt. So besitzt es eine destruktive Sprengkraft gegenüber lebensfeindlichen und eine schöpferische gegenüber lebensdienlichen Entwicklungen: Wie bei einer unscheinbaren Knospe, die plötzlich eine wunderschöne Blüte hervorbringt.
Christliche Führungskräfte haben deshalb die Freiheit, sich nicht allein mit gerade aktuell anerkannten Antworten zufrieden zu geben, sondern wie bei einem lebendigen Organismus gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. Paulus veranschaulicht das einzigartig im Bild vom Leib Christi, den die Gemeinde mit vielen Glieder im Zusammenspiel wirksam werden lässt.
Bescheiden ausgedrückt: Christliche Führungskräfte können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, weise zu führen, wenn sie Raum für Weisheit schaffen, indem sie sie als besonderen Faktor erkennen und ihren persönlichen Umgang mit ihr fördern und ausbauen.
Vier Weisheitsfaktoren
Die Beschäftigung mit vier Faktoren kann helfen, dass sich Weisheit ausdehnt und Denkmuster gesprengt werden:
Demut
Wer sich an Gott als Schöpfer, Erlöser und Beistand orientiert, dem fällt es leichter, sich vom eigenen Ego zu lösen. Der verkrümmte Blick auf die eigenen Taten und Verdienste richtet sich in eine große Weite. Die Grenzen eigenen Handelns werden erkennbarer. Wer weiß, dass er von Gott geliebt ist, muss nichts mehr sein wollen. Der nimmt andere Menschen als Ergänzung, Hilfe und Korrektiv wahr. Eine demütige Haltung ist die intelligenteste Selbstführung: De-mut ist dann nicht etwa De-stabilisierung sondern die höchste Form des Muts. Viele Mitarbeitende werden das zu schätzen wissen. Demütige Führung fragt Gott und die Menschen: Was brauchst Du?
Empowerment
Gott beruft und befähigt Menschen. Es ist das Gegenteil vom Teufelskreis der endlosen Selbstoptimierung. Nur wer sich von Gott führen lässt, kann auch andere gut führen. Gelassenheit, Realitätssinn und Hoffnung ziehen ein. Wer sich mit den Führungskräften der Bibel beschäftigt, erkennt die Notwendigkeit von Prozessen, weiß um Wachstum, Krisen, Scheitern, Buße und Neuanfang. Gott schreibt mit Totschlägern (Mose), Ehebrechern (David) und Verleugnern (Petrus) seine große Geschichte. Sie ist noch nicht am Ende.
Wer diese Heilsgeschichte für sich und andere erwartet, hat auch Lust, die verborgenen Potenziale bei seinen Mitarbeitenden zu erkennen und nicht gering von ihnen zu denken. Jesus hat Menschen von Fischern zu Menschenfischern berufen. In seiner Schule wurden sie befähigt zu predigen, andere zu heilen und sogar vom Tode aufzuerwecken.
Doch wer kennt nicht auch die Beispiele von schlechter Führung und unterirdischer Unternehmenskultur? Wie hilfreich ist es besonders dann, in eine Gemeinde und in christliche Netzwerke eingebunden zu sein. So lassen sich Krisen leichter überwinden und Begabungen potenzieren.
Offenheit
Die Schöpfung ist noch nicht an ihr Ende gelangt. Gott hat die Menschen von Anfang bis Ende berufen, diese Erde zu bebauen und zu bewahren. Sie sind somit zu Co-Kreatoren berufen! Der Chef-Kreator bestimmt, wann dieser Prozess am Ende ist. Nur falsche Propheten sagen, wann es vorbei ist. Gute Propheten sagen, dass es noch Nachtisch gibt.
Alles ist im Wandel, nur Gottes Liebe nicht. Wir müssen nicht das Ende suchen, Prozesse gehen immer weiter, auch ich darf mich verändern und überraschen lassen. Teams ändern sich und bieten immer wieder zahlreiche Ermöglichungen, Herausforderungen anzugehen. Erwarten wir den Kairos, den von Gott geschenkten günstigen Augenblick, für eine Veränderung noch? Mit offen Händen dürfen wir vor ihn treten und uns von ihm beschenken lassen. Eine gute Idee, eine Innovation ist auch immer ein kleines Abbild von Gottes Herrlichkeit.
Amen
Dieses Wort ist die bekannteste Zustimmung zu Gebet und Segen. Wie „das Amen in der Kirche“ braucht gute Führung Verlässlichkeit und Treue. Wer im Gottesdienst das Amen spricht, weiß sich getragen, verliert nicht so schnell den Glauben und die Zuversicht. Das Amen ist nicht nur das Ende eines Gebets, sondern weist auf den, der da war, der da ist und der da kommt. Das Amen kann trösten und gemeinsam Erfolge feiern. Es stiftet Gemeinschaft.
Im gemeinsamen Bekennen erfahren wir: Keiner ist sich selbst genug, wir sind vom Schöpfer auf gegenseitige Ergänzung hin angelegt. Meine weise Führung ist temporär wichtig. Ich kann Projekte auch beenden, kann loslassen und übergeben. Es ist hilfreich, dass wir auch als Führungskräfte uns und anderen Amen-Erlebnisse ermöglichen. Nützliche Rituale können dabei Raum für weise Führung schaffen. Sie muss nicht Theorie bleiben. Bis zum Amen meines Lebens darf ich sie auch trainieren. Als Haltung gibt sie Halt und weist über die eigene Person hinaus, wie es auch Zisterzienser-Abt Bernhard von Clairvaux empfiehlt: »Stehe an der Spitze, um zu dienen, nicht, um zu herrschen!«
Peer-Detlev Schladebusch engagiert sich seit 20 Jahren im Leitungskreis des Kongresses christlicher Führungskräfte (KcF). Er ist Pastor für Führungskräfte der Wirtschaft im Arbeitsfeld Spiritual Consulting der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und Sprecher des Netzwerks Christen in der Automobilindustrie (CAI).