Muslimen im Job fair begegnen
Worauf Vorgesetzte im Berufsalltag achten sollten.
Das Miteinander von Christen und Muslimen ist im deutschsprachigen Europa selbstverständlich geworden. Dabei gibt es immer noch Fallstricke, die den Berufsalltag erschweren können. Im Folgenden ein Beitrag des arabisch-deutschen Theologen Hanna Nouri Josua zur Frage, worauf es am Arbeitsplatz ankommt.
Viele Chefs haben bereits Erfahrungen mit Muslimen im beruflichen Umfeld gesammelt, gute und weniger gute, ermutigende und irritierende, meist durch Ausprobieren. Für jene mit weniger Berührungspunkten sind hier einige allgemeine Aspekte des Zusammenlebens mit Muslimen angesprochen. Allgemein deshalb, weil wir zum einen vor einer Vielfalt von Führungskräften und zum anderen vor einer – vielleicht noch größeren – Vielfalt von Muslimen stehen. Daher sind Differenzierung und die Berücksichtigung der individuellen Situation unabdingbar. Hier nun einige Impulse, die in die individuelle Situation umgesetzt werden müssen.
Diversität bei Vorgesetzten Manche Führungskräfte haben offene Fragen im Umgang mit muslimischen Arbeitnehmern. Da sind vielleicht enttäuschende Erfahrungen trotz guten Willens. Und da ist das Bemühen, Gefühle religiöser Menschen nicht zu verletzen, sodass manche eigentlich offenen Fragen gar nicht thematisiert werden. Bei manchen schwingt auch die Angst mit, sich bei Äußerung von Kritik dem Rassismusvorwurf auszusetzen. Wer aber Fehlverhalten von sogenannten Bio-Deutschen anspricht, von Migranten und Muslimen jedoch nicht, kann Spannungen innerhalb der Belegschaft hervorrufen.
Diversität der Muslime
Von welchen Muslimen sprechen wir eigentlich?„Die“ Muslime als monolithische Einheit gibt es nicht. Von den rund sechs Millionen Muslimen in Deutschland haben zwischenzeitlich mindestens 1,5 Millionen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben; viele Muslime sind in Deutschland geboren. Einige hunderttausend Bio-Deutsche sind zum Islam übergetreten, also konvertiert; sei es aus religiöser Überzeugung oder aufgrund von familiären Konstellationen. Neben Migranten und Flüchtlingen aus verschiedenen Krisengebieten leben in Deutschland auch Nachkommen der sogenannten Gastarbeiter, Diplomaten, Studenten und Wissenschaftler. Bildungsmäßig reicht die Spanne von Analphabeten bis hin zu Professoren.
Die islamische Community hierzulande bildet inzwischen auch die gesamte religiöse Vielfalt in der islamischen Welt ab – von Kulturmuslimen bis zu Jihadisten, von Atheisten bis zu Sufis (Mystikern). Flüchtlinge aus Staaten mit Militärdiktaturen sind in der Regel religiöser als schon Jahrzehnte hier lebende muslimische „Gastarbeiter“, die mit den hiesigen Verhältnissen vertraut geworden sind und sich integriert haben. Vor allem Flüchtlinge der vergangenen zehn Jahre bringen den arabisch geprägten Frömmigkeitsstil mit, der eine strengere Auslegung des Islams befolgt. Ein beachtlicher Anteil dieser Flüchtlinge – vor allem aus Afghanistan, Iran und Syrien – stammt aus einer Region, die stark von einer Symbiose von Kultur und Religion geprägt ist. Daraus ergibt sich, dass die Kritik an dem einen Element zugleich Kritik an dem anderen bedeutet. Die ehemals fremde islamische Community entwickelt sich mit all ihren Glaubensfacetten allmählich und stetig zu einer einheimischen Religionsgemeinschaft in Deutschland. Muslimische Präsenz mit all ihrer Diversität ist eine Realität geworden. Ihre Beteiligung am Alltagsleben der Deutschen berührt daher alle Lebensbereiche.
Kranken- und Altenpflege
Im pflegerischen Bereich, in dem der Arbeitskräftemangel bereits vor der Pandemie angespannt war und sich nun zugespitzt hat, steigen Muslime eher zögerlich ein. Eine Werbekampagne unter muslimischen Migranten und Flüchtlingen für dieses Tätigkeitsfeld, um sie hierfür zu gewinnen, könnte beiden Seiten helfen, die Pflegekrise zu minimieren. Engagement in diesem Beruf setzt voraus, dass alle Menschen gleich sind und gleichbehandelt werden, ohne Ansehen der Person, ohne Unterscheidung zwischen Mann und Frau, gläubig und ungläubig.
Das Menschenbild von Mann und Frau wird bei Muslimen somit durch die Ausbildung korrigiert. Nach dem biblischen Schöpfungsbericht wurde die Frau als ebenbürtig zum Mann erschaffen (1.Mose 2,18.20). Im Islam werden Adam und Eva zwar aus demselben Material erschaffen (Sure 4,1); dies besagt jedoch nichts über ihre Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung aus, vielmehr kann der Mann als auf einer höheren Stufe verstanden werden.
In der islamischen Welt war das pflegerische Tätigkeitsfeld hauptsächlich auf Männer beschränkt, bis die Kirchen ihr diakonisches Know-how im 19. Jahrhundert dorthin brachten. An dieser Stelle seien Gründungen von Schulen für Sehbehinderte und Blinde oder Mädchenschulen erwähnt. Vielerorts werden medizinische Angelegenheiten von Frauen bis heute von Frauen geregelt. Wo es medizinisch unvermeidbar war, wurden Frauen von ihren Männern oder/und anderen Frauen zu Medizinern begleitet.
Die verinnerlichten Reinheitsgebote – also religiöse Pflichten – sind für Muslime eine hohe Hürde im pflegerischen Bereich. Reinheitsgebote am eigenen Leib nicht zu befolgen, machen die religiösen Riten nichtig (Sure 4,43; 5,6), ebenso die Berührung mit Unreinheiten anderer Menschen.
Die Scham beachten
Orientalische Menschen sind in Schamgesellschaften aufgewachsen. Darum ist es wichtig, den Geschlechteraspekt in der Pflege zu berücksichtigen, indem pflegebedürftige Frauen zunächst von Frauen behandelt werden. Orientalische Fachkräfte in Ausbildung brauchen ein graduelles Hineinfinden in das neue Gleichheitsdenken über die Behandlung von Patienten beider Geschlechter. Während Pfleger sich in diesem Lernprozess befinden, üben sie ein, die eigene Person sowohl religiös als auch kulturell in den Hintergrund zu stellen.
In christlichen Organisationen stellt sich die Frage nach der prinzipiellen Anstellung von muslimischen Ärzten und Fachkräften im pflegerischen Bereich. Es gibt bereits eine beachtliche Anzahl muslimischer Ärzte in fast jedem Diakoniekrankenhaus, die ihren Beruf tadellos ausüben.
Gerechter und fairer Umgang mit Muslimen
Im Folgenden nun Empfehlungen, die auf pädagogische, akademische, handwerkliche, wirtschaftliche und geistliche Themenfelder übertragen werden können.
Chancengleichheit:
Wenn mit bestem Wissen und Gewissen gearbeitet wird, was ja auch von areligiösen Arbeitnehmern erwartet wird, sollte ein religiöser Mensch – Christ, Muslim oder Angehöriger einer anderen Glaubensgemeinschaft – wegen seiner religiösen Zugehörigkeit keinen Bonus gegenüber der anderen Mitarbeiterschaft erhalten. Dieses Gleichheitsprinzip öffnet Chancen für alle. Nur Qualifikationen und Eignungen zählen!
Weltanschauliche Neutralität:
Viel wurde über Kopftuch und Verhüllung im öffentlichen Dienst und in der Arbeitswelt gestritten. Wie das Kopftuch auch immer innerislamisch zu bewerten ist, bleibt es im europäischen Kontext und vom Neutralitätsprinzip her stets ein religiöses Symbol, abgesehen davon, ob die Trägerin ihre Kopfbedeckung als Persönlichkeitsentfaltung betrachtet oder als religiöse Pflicht. In diesem Zusammenhang ist es nicht zielführend, von Frauenunterdrückung zu sprechen. Vielmehr dient das Kopftuch der Ab- und Ausgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, signalisiert öffentlich ein nonverbales Bekenntnis zur Religionszugehörigkeit der Trägerin, ist eine unausgesprochene Diskriminierung der Mehrheitsgesellschaft, attestiert der Männerwelt unterschwellig unkontrollierbare Blicke und mahnt zur Vorsicht im Umgang mit der Kopftuchträgerin. Manchmal bleibt dies im zwischenmenschlichen Umgang nicht ohne Konsequenzen und kann für ein angespannte Arbeitsklima, zumindest für gewisse Verunsicherung, sorgen.
Islamische Feste:
Muslime können ihren Urlaub in den Ramadan legen, um Konfliktsituationen vorzubeugen. In den Schulen gibt es einen Anspruch auf einen freien Tag während der islamischen Feste. Der christliche Auftrag besteht nicht darin, Angehörige anderer Religionen an der Ausübung ihrer Religiosität zu hindern. Vielmehr besteht die christliche Aufgabe in der Weitergabe der frohen Botschaft im Evangelium von Jesus Christus. Großzügigkeit und Respekt für religiöse Befindlichkeiten hinterlassen positive Spuren bei den Betroffenen.
Anstellung von Muslimen in bekenntnisgebundenen Organisationen:
Wo eine christliche Verkündigung und/oder seelsorgerliche Interaktion zwischen Menschen erforderlich ist, ist eine Anstellung von Muslimen nicht möglich. In der Regel ist dies in der Anstellungsordnung geregelt. Wo während der Arbeit Gebete im Namen des menschgewordenen Gottes, Jesus Christus, und des dreieinigen Gottes üblich sind, kann das von Muslimen schlechterdings nicht verlangt oder erwartet werden. Eine solche Beauftragung wäre eine geistliche Überforderung für alle Seiten. Das trifft zu für evangelische oder katholische Kindertagesstätten, diakonische Einrichtungen sowie für weitere bekenntnisgebundene Tätigkeiten.
Von Hanna Nouri Josua
Hanna Nouri Josua, Jahrgang 1956, ist promovierter arabisch-deutscher Theologe und evangelischer Pfarrer. Er stammt aus dem Libanon, lebt seit 1980 in Deutschland, hat vier arabischevangelische Gemeinden gegründet sowie die Evangelische Ausländerseelsorge, heute „Salam-Center“, aufgebaut und lange Jahre geleitet. Josua ist verheiratet mit Heidi, das Paar hat fünf erwachsene Kinder.