Was ein kriminelles Umfeld bedeutet, weiß Jeudyl Pidiache nur zu gut. Er stammt aus Kolumbien, das für Unruhen, Bandenkriege und Kriminalität traurige Berühmtheit erlangt hat. Doch nun entwickelt der junge Christ eine App, die das Reisen in gefährliche Gebiete erheblich sicherer machen soll.
Von Marcus Mockler
Im Alter von 21 Jahren die Welt zu einem besseren Ort machen? Genau das ist der Plan von Jeudyl Robles Pidiache. Der junge Mann aus Kolumbien, der momentan in Friedrichshafen Avionik studiert und sich in einer evangelischen Freikirche engagiert, tüftelt mit zwei Freunden an einem Sicherheitssystem, das insbesondere Touristen und Geschäftsreisende vor Gefahren schützen soll. Safezone heißt das Projekt, mit dem Menschen um Hotspots der Kleinkriminalität einen großen Bogen machen können.
Urlauber und Fernreisende haben oft schon Erfahrungen mit Langfingern gemacht. Beim Bummel durch die Innenstadt verschwindet plötzlich die Geldbörse – oder jemand hat sich heimlich am Rucksack zu schaffen gemacht. In vielen Städten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens ist es noch gefährlicher. In Kolumbiens Hauptstadt Bogota etwa sollte man in einigen Bereichen keinen Schmuck und keine Armbanduhr offen tragen, wenn man sich Räuber vom Leib halten will. Die Stadt registriere jeden Monat 30.000 Kriminalfälle, sagt Jeudyl. Allerdings ist nicht immer klar, in welchen Gegenden die Langfinger und Straßendiebe gerade besonders aktiv sind.
Heatmaps bieten Orientierung
Die Grundidee von Safezone: Aktuelle Daten zu einschlägigen Straftaten werden gesammelt und in eine elektronische Karte eingezeichnet. Daraus lassen sich sogenannte Heatmaps erstellen, die die Bedrohungslage anzeigen. Rot ist sehr gefährlich und signalisiert, dass man diese Gegend momentan besser meidet. Orange zeigt ein mittleres Risiko an, bei Grün dürfte die Sicherheit am höchsten sein.
Die größte Herausforderung für diese Karten ist die Beschaffung der Daten. In einer ersten Stufe sind es die Nutzer selbst, die über Vorfälle berichten – entweder als Opfer einer Straftat oder als Zeuge. In einer App können sie entsprechende Informationen eintragen. Da zu jedem Vorfall der genaue Ort festgehalten wird, entsteht in Echtzeit eine Heatmap. Klar ist dabei auch: Je mehr Leute mitmachen, desto präziser ist die Einschätzung der Sicherheitslage.
Start in Bogota
Deshalb haben die Entwickler in einem Pilotprojekt die App in Bogota gestartet. Jeudyl kennt Kolumbien aus den ersten acht Jahren seines Lebens. Er wuchs in der Provinz Casanare auf, östlich der Landeshauptstadt. Auch wenn er seine ersten Lebensjahre als eher normal beschreibt, weiß er aus seiner Familiengeschichte von der Gewalt, die das Land seit vielen Jahrzehnten prägt.
Sozialistische Guerillas, paramilitärische Einheiten, Drogenhändler und Gangs leben dort im Dauerkrieg, so dass seine Großeltern eine Zeitlang in den Dschungel flüchten mussten. Heute ist Bogota mit seinen zehn Millionen Einwohnern eine Metropole mit vielen gefährlichen Gegenden. Ein idealer Ort also, um Safezone zu erproben. Und aus dieser Stadt gibt auch bislang die meisten Einträge. Die App schlüsselt bereits auf, welchen Anteil dabei Geld-, Schmuck- und andere Diebstähle haben.
Dem Chatbot Straftaten melden
Natürlich ist es mühsam, nach dem Schock einer Straftat auch noch eine App mit Daten zu füttern. In einer wesentlich verbesserten App-Version, die ab Dezember heruntergeladen werden kann, soll es deshalb einen Chatbot geben, der die Eingabe noch einmal erleichtern wird. Zudem haben die Programmierer Sicherheitsalgorithmen eingebaut, um falsche Angaben zu erkennen und Missbrauch zu verhindern. Die Versuchung beispielsweise für einen Hotelbesitzer, vor dem Haus seines Konkurrenten möglichst viele Diebstähle zu melden – auch wenn gar keine stattgefunden haben – wäre sonst zu groß.
Um die Qualität der Daten zu verbessern, werden sich die Macher von Safezone in den kommenden Monaten und Jahren neue Quellen erschließen. So ist eine Zusammenarbeit mit der Polizei geplant, die Informationen über Straftaten zur Verfügung stellen soll – und die umgekehrt Daten von Safezone nutzen kann. Online-Zeitungen sollen vom Computer nach Vorfällen durchforstet werden, die dann ebenfalls auf der Gefahrenkarte landen. Sogar den Einsatz von Drohnen streben die Betreiber von Safezone an, um das Sicherheitsbild zu präzisieren – was allerdings im Blick auf Rechtsvorschriften und Versicherungen ein komplexes Unterfangen ist und deshalb Zeit braucht.
Geleitet wird das Unternehmen, das inzwischen als sogenannte vereinfachte Aktiengesellschaft in Bogota registriert ist, von drei Christen. Neben Jeudyl sind das der ehemalige Informatikprofessor Alexis Ballesteros als Geschäftsführer und die Internetexpertin Laura Picón für die Aktivitäten im weltweiten Netz. Jeudyl ist für die Finanzen zuständig. Vier Freelancer helfen dem Leitungsteam, die Vision umzusetzen. Neben Bogota finden sich inzwischen auch einige Nutzer in Nigeria, wo es um die Sicherheit in großen Städten ebenfalls schlecht bestellt ist.
In Spanien Christ geworden
Jeudyl kommt aus einer katholischen Familie. Als er acht war, zog er mit seinen Eltern und der Schwester nach Spanien. Die Mutter arbeitete als Stylistin, unter anderem für Frisuren und Fingernägel. Eine Kundin sprach mit ihr über Jesus Christus und lud sie in ihre Kirche ein. Die Begegnungen waren so beeindruckend, dass die Mutter eine ganz neue Hinwendung zum Glauben erlebte. Dem folgten ihre Kinder und dann auch der Vater. Heute leben sie zusammen in Konstanz und besuchen eine Gemeinde in der Schweiz, in der Deutsche, Schweizer und Lateinamerikaner zusammenkommen.
Der christliche Glaube ist die entscheidende Motivation für Jeudyl, Safezone weiter zu entwickeln. Der junge Mann mit dem kurzen, nach hinten frisierten Haar trägt gerne einen Davidstern und ein Kreuz an seinem Hals. Sein Lieblingsvers in der Bibel steht im Johannes-Evangelium, Kapitel 8, Vers 32, wo Jesus sagte: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Safezone trage sehr zur Wahrheit bei – deshalb sei es für die Verantwortlichen besonders wichtig, dass die eingepflegten Daten auch stimmen.
Auf Fördergelder angewiesen
Geld verdienen können die Entwickler mit dem Projekt bislang nicht. Sie soll auch weiterhin kostenlos sein, um für mögliche Nutzer keine Hürden aufzubauen. Mit einem Premium-Zugang (1 Dollar pro Monat) und einem Zugang für Unternehmen (5 Dollar pro Monat) werden hilfreiche Zusatzfunktionen nutzbar. Auf diese Weise hofft die Geschäftsführung, die eigenen Kosten decken zu können. Um dieses Thema kümmert sich Jeudyl als Finanzchef der Firma. Er hat sich zudem bereits bei verschiedenen Start-up-Wettbewerben angemeldet, um an Fördergelder zu kommen.
Auch in Deutschland sieht Jeudyl Potenzial. Das Land sei zwar recht sicher, doch auch hier gebe es problematische Gegenden. Er nennt als Beispiele den Bezirk um den Frankfurter Hauptbahnhof und Teile Berlins.
Sicherheit als Marathonlauf
Im Herbst will der junge Geschäftsmann eine Tour durch Spanien machen. Auch dort gibt es Hotspots der Kriminalität: Madrid, Barcelona, Mallorca. Er wird in Gemeinden predigen und zudem auf das Anliegen von mehr Sicherheit aufmerksam machen. Für ihn ist das eine eminent geistliche Frage. Dass es so viel Böses auf der Welt gibt, schreibt er nicht dem Schöpfer der Welt zu, sondern den Menschen. „Wir müssen Werkzeuge benutzen, um die Welt besser zu machen.“
In seiner Freizeit läuft Jeudyl Marathon. Dann trägt er sein Safezone-Shirt, um seine Botschaft unaufdringlich unter die Leute zu bringen. Auch sein Einsatz für mehr Sicherheit in den Straßen der Städte betrachtet er als Marathonlauf. Es braucht einen langen Atem, um Kriminellen die Grundlage für ihre Straftaten zu entziehen.