Gewerkschaften fordern sie – und Unternehmen schwanken zwischen Ablehnung und Offenheit: Die 4-Tage-Woche verspricht mehr Mitarbeiterzufriedenheit und höhere Produktivität. Dabei kann allerdings die Zufriedenheit der Kunden auf der Strecke bleiben. Was ist bei diesem Thema zu beachten?
Von Christoph von Oertzen
Kürzlich wurde ich als Kunde einer Firma mit einer 4-Tage-Woche unangenehm überrascht. Als Unternehmer und Berater habe ich mich bereits mit dem Thema der 4-Tage-Woche auseinandergesetzt. Die Entscheidung dafür oder dagegen erfordert gründliche Überlegungen.
Es war ein Donnerstagabend, und der Heizungsmonteur hatte seine Arbeit noch nicht beendet. Als ich ihn fragte, wann er am nächsten Tag seine Arbeit fortsetzen würde, erklärte er, dass er am Freitag nicht arbeite, da er eine 4-Tage-Woche habe. So stand ich ohne heißes Wasser da, mit der Aussicht auf drei Tage kaltes Duschen. In meiner Rolle als Unternehmer-Coach wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, die Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit bei der Einführung einer 4-Tage-Woche zu berücksichtigen.
Motivationen für die 4-Tage-Woche
Kundenzentrierung ist das Herzstück jedes erfolgreichen Unternehmens. Der konsequente Fokus auf den Kundennutzen schafft nicht nur Markentreue, sondern auch ein nachhaltiges Fundament für Innovation und langfristiges Wachstum.
Ich stelle mir vor, wie die Einführung der 4-Tage-Woche in diesem Handwerksbetrieb abgelaufen sein könnte. Wahrscheinlich erhoffte sich der Chef, durch die Einführung der 4-Tage-Woche zwei seiner größten Probleme zu lösen: die Mitarbeitermotivation zu steigern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Der Leitsatz lautet: „Mit der Einführung der 4-Tage-Woche streben wir danach, noch attraktiver für unsere Mitarbeiter zu werden und gleichzeitig potenzielle Talente anzuziehen, die Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance legen.“
Herausforderungen und Nachteile
Leider ist dies keine umfassende Lösung. Es ist, als würde man versuchen, ein Loch im Dach mit einem Eimer darunter zu beheben, anstatt es wirklich zu reparieren. Ich bin der Meinung, dass wir uns offen mit neuen Arbeitsformen auseinandersetzen sollten. Die Arbeitswelt verändert sich, und wir können entweder zuschauen oder aktiv daran teilhaben.
Jedoch handeln Unternehmer fahrlässig, wenn sie die Einführung einer 4-Tage-Woche nicht bis ins kleinste Detail durchdenken. Daher ist es wichtig, die möglichen Vor- und Nachteile genau zu betrachten.
Zu den Nachteilen einer 4-Tage-Woche gehört unter anderem die negative Auswirkung auf die Kundenzentrierung. Weitere Herausforderungen können längere und stressigere Arbeitstage sein, die zur Überlastung der Belegschaft führen können. Wer seine Prozesse, Abläufe und Strukturen nicht im Griff hat, riskiert, mit der 4-Tage-Woche ins Chaos zu stürzen. Schwierigkeiten bei der Koordination innerhalb der Mitarbeitenden, Teams und Abteilungen sind fast unausweichlich. Gesamtwirtschaftlich könnte der flächendeckende Übergang zu einer 4-Tage-Woche das Gleichgewicht des Arbeitsmarktes gefährden und zu unerwarteten Kapazitätsengpässen führen.
Potenzielle Vorteile
Warum also über ein solches Modell nachdenken? Weil die Vorteile tatsächlich überzeugend sein können. Die Entscheidung, ob man dieses Modell anbietet, sollte man heute treffen, denn morgen könnte es sein, dass die Mitarbeitenden diese Entscheidung übernehmen, indem sie das Unternehmen verlassen oder erst gar nicht eintreten. Daher ist es wichtig, auch die möglichen Vorteile einer 4-Tage-Woche zu betrachten.
Einige Studien und Praxisbeispiele haben gezeigt, dass Mitarbeitende in einer 4-Tage-Woche produktiver sein können. Die reduzierte Arbeitszeit kann dazu führen, dass sich Mitarbeitende besser fokussieren, weniger Zeit in Meetings verbringen und effizienter arbeiten. Eine kürzere Arbeitswoche kann auch zur Zufriedenheit und zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden beitragen, was wiederum die Fluktuation verringern und die Motivation erhöhen kann. Ausgeruhte und zufriedene Mitarbeitende könnten zudem weniger krankheitsbedingte Ausfälle haben.
Praktische Umsetzung
Es gibt verschiedene Modelle der 4-Tage-Woche. Entweder werden 40 Stunden auf vier Tage verteilt, oder 80 Prozent der Arbeitszeit werden für 100 Prozent des Gehalts geleistet. In jedem dieser Modelle sollte gleichbleibende Produktivität vorausgesetzt werden.
Die Frage, ob eine 4-Tage-Woche eingeführt werden soll, wird mir immer wieder gestellt. Ich halte mich mit voreiligen Antworten zurück und bevorzuge einen differenzierten Ansatz statt undifferenzierter Aussagen. Ratschläge wie „Führe auf keinen Fall eine 4-Tage-Woche ein, weil…“ oder „Unbedingt, du musst eine 4-Tage-Woche anbieten, sonst…“ bringen niemanden weiter. Stattdessen ist es wichtig, das eigene Unternehmen zu analysieren. Ist das Modell umsetzbar? Was machen andere in der Branche? Man sollte sich an den Unternehmen orientieren, die dieses Modell bereits erfolgreich umgesetzt haben.
Eine gründliche Analyse der aktuellen Betriebsabläufe, Arbeitskultur und Mitarbeiterbedürfnisse ist entscheidend. Dazu gehören Befragungen und Diskussionen, um ein umfassendes Bild der möglichen Auswirkungen einer 4-Tage-Woche zu erhalten.
Es ist entscheidend, das Modell zu Ende zu denken, bevor eine voreilige Entscheidung getroffen wird.
Mit Pilotprojekt beginnen
Selbst wenn man überzeugt ist, sollte man nicht sofort komplett auf eine 4-Tage-Woche umstellen. Man sollte das Modell in einem begrenzten Rahmen testen, beispielsweise mit nur einer Abteilung oder mit einzelnen Mitarbeitenden. Dem Test sollte der Name „Test“ gegeben werden, um es allen Beteiligten einfacher zu machen, die neuen Umstände zu akzeptieren und sich offen damit auseinanderzusetzen. Es wird unweigerlich zu Problemen kommen, und in einem Testumfeld kann man immer sagen: „Genau um diese Probleme zu erkennen, testen wir das.“ Man kann das Modell jederzeit anpassen, ausweiten oder zurückfahren, ohne Gesichtsverlust zu erleiden. Ein Testzeitraum von sechs Monaten hat sich in unseren Projekten bewährt.
Regelmäßiger Austausch und Einholen von Feedback während der Testphase sind wichtig, um Bedenken und Herausforderungen anzugehen. Dazu können Diskussionsforen oder regelmäßige Gesprächsrunden dienen. Wichtig ist, die positiven Veränderungen und Verbesserungen, die durch die 4-Tage-Woche erreicht wurden, zu erkennen und zu feiern.
Es ist zudem wichtig, sich vorab zu überlegen, wie der Erfolg des Pilotprojekts gemessen werden könnte. Eine klare Definition der Hauptziele der 4-Tage-Woche, wie Work-Life-
Balance und Produktivitätssteigerung, halte ich für sinnvoll. Diese Ziele sollten mit allen Mitarbeitenden geteilt und diskutiert werden, um Transparenz und Engagement zu fördern.
Mehr Produktivität
Wenn auf ein 4-Tage-Arbeitswochenmodell umgestellt werden soll, ohne das Team zu vergrößern, liegt der Fokus in der Pilotphase auf der Steigerung der Produktivität.
Es ist wichtig zu ermitteln, welche Prozesse effizient ablaufen und welche möglicherweise zu kompliziert sind oder sogar als überholt gelten können. Ein wesentlicher Faktor für gesteigerte Effizienz ist auch die sorgfältige Aufgabenpriorisierung, die die individuellen Stärken und Schwächen der Teammitglieder berücksichtigt.
Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle, indem sie darauf achten, wie jedes Teammitglied seine Fähigkeiten am besten einsetzen kann. Eine Anpassung bestimmter Arbeitsabläufe kann ebenfalls dazu beitragen, die Zeit effektiver zu nutzen. Dies kann durch das Eliminieren unnötiger Aufgaben erfolgen. Da gibt es jede Menge Ansätze, die individuell zu bewerten sind.
Ein weiterer interessanter Nebeneffekt ist, dass durch die Einführung einer Pilotphase nicht nur eine Steigerung der Effizienz und Produktivität erreicht werden kann, sondern auch bestehende Schwächen im Unternehmen gnadenlos aufgedeckt werden. Dieser Prozess bietet wertvolle Erkenntnisse, unabhängig davon, ob letztendlich eine dauerhafte Umstellung auf eine 4-Tage-Arbeitswoche erfolgt. Selbst wenn man sich gegen diese Arbeitszeitregelung entscheidet, stellt die Durchführung eines solchen Tests eine lohnende Investition dar, da sie wichtige Einblicke in die Betriebsabläufe bietet und Potenzial für Verbesserungen aufzeigt.
Moderne Arbeitswelt
Ich möchte Sie ermutigen, das Thema proaktiv anzugehen und die Chancen einer 4-Tage-Woche zu erkunden. Mit der richtigen Expertenunterstützung können Sie nicht nur die Arbeitszufriedenheit und Produktivität in Ihrem Unternehmen steigern, sondern auch einen zukunftsweisenden Schritt in Richtung einer modernen und flexiblen Arbeitswelt machen.
Zum Autor:
Christoph von Oertzen stammt aus einer Unternehmerfamilie und hat sich auf die Beratung von Unternehmern und Geschäftsführern spezialisiert. Der verheiratete Vater von zwei Töchtern bietet Einzelcoaching für Geschäftsführer, CEOs und Inhaber an, wobei er seine langjährige Erfahrung in der Unternehmensführung einbringt. Von Oertzen unterstützt das Hilfswerk „Save the Children“.