Menschen in verantwortlichen Führungspositionen sind hoch engagiert und wollen alles richtig machen – und stolpern doch über ihre „EGO-Fallen“. Das ist die Beobachtung der Unternehmensberaterin Renate Henning. Sie schärft den Blick dafür, wie eine komplexe Zukunft zu gewinnen ist.
Von Renate Hennnig
Wir lesen, hören und erleben es in diesen Jahren zur Genüge, in welchem Maße die schwierigen Lagen in der Welt vor allem auf die Situation selbstständig geführter Unternehmen des Mittelstandes abfärben. Diese Unternehmen sind das Herzstück der deutschen Wirtschaft, aber auch in Österreich und der Schweiz.
Die gute Nachricht ist, dass die Wirren dieser Jahre die Unternehmerinnen und Unternehmer nicht davon abhalten werden, in ihrer Tätigkeit weiterzumachen oder neu zu starten. Denn unternehmerische Menschen hat es immer gegeben, und es wird sie weiterhin geben. Sie sind der Motor für Neuaufbrüche, für kleine und große Veränderungen in allen Lebensbereichen. Die Zukunft des Unternehmertums findet statt und wird immer stattfinden.
Ein besonderes Privileg ist es, unternehmerische Menschen zu treffen, die von Jesus Christus her motiviert sind: Sie setzen ihre „Talente“ nicht allein für sich selbst ein, sondern für eine bestimmte Menschengruppe – seien es menschliche, unternehmerische oder finanzielle „Talente“.
Druck verengt das Denken
Es ist bewundernswert, wie die jungen Generationen sich mühelos in einer komplexen Realität und in komplexen Umständen in allen Lebensbereichen bewegen. Es stört sie nicht, dass die Geschäftswelt so komplex ist wie nie zuvor, das Tempo der Veränderungen auf höchstem Niveau bleibt und die Kunden, die Mitarbeiter, und die Technik immer anspruchsvoller werden. Trotz dieser Fähigkeit, sich in der komplexen Realität bewegen zu können, gelingen bei jüngeren und älteren Menschen in unternehmerischer Verantwortung allerdings viele Initiativen im Geschäftsalltag nicht.
In vielen Jahren der Beratertätigkeit konnte ich die Beobachtung machen, dass wir als Entscheider in sehr komplexen Situationen immer wieder in eine Art Tunnelblick verfallen, auch wenn wir durchaus in der Lage sind, die notwendige Perspektivenvielfalt im Auge zu behalten.
Das hat viele sehr unterschiedliche Gründe – hier legen wir den Schwerpunkt darauf, dass unsere eigenen Begrenzungen oft die Fähigkeit verstellen, sich in der Aufgaben- und Informationsvielfalt zurecht zu finden. Unter dem Druck dieser Komplexität kann eine Verengung unserer Denkfähigkeit entstehen. Wir kommen in eine Art Tunnelblick. Darin fällen wir Fehlentscheidungen, es entwickeln sich Missverständnisse und Engführungen. Wir befinden uns in einer „EGO-Falle“.
Den Tunnelblick weiten
Es ist gut zu wissen, dass wir als Menschen nicht fehlerfrei sein müssen – dass es auch kein Makel ist, wenn wir nicht alle Themen des Unternehmertums beherrschen können. Wir sind spezialisiert auf einzelne Fachgebiete – und das kann uns in Krisen zum Verhängnis werden, denn wir stolpern über unsere eigenen Begabungen und Begrenzungen.
Als Ego-Falle kann man Denkmuster, Glaubenssätze und Reflexe verstehen, die das Denken und Handeln von Führungskräften und Verantwortlichen oft wie von Geisterhand in die falsche Richtung lenken. Die Richtung entspricht dann nicht mehr der erforderlichen Anpassung an die wirtschaftliche Komplexität, sondern verengt sich.
Wie erkennt man Ego-Fallen, wie geht man mit ihnen um – und gibt es einen Weg sie zu umgehen? Wenn wir einige dieser Ego-Fallen vermeiden, haben wir einige (hier sieben) Möglichkeiten, unser Geschäft in die Zukunft zu führen, und die ist komplex.
Die Logik des Gelingens: Die sieben Ego-Fallen frühzeitig erkennen
Im Folgenden werden sieben unterschiedliche Führungstypen vorgestellt, die bestimmt nicht auf jede Leserin, jeden Leser zutreffen. Es wird hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Alle sind auf dem Weg, in einer komplexen wirtschaftlichen Situation Erfolg zu haben:
- Führungskräfte sind gemeinsam verantwortlich –
Anstelle: Wenn nicht ich – wer sonst?
- Der Chef allein macht alles richtig – ist immer falsch
- Nach Systemfehlern und Lösungen suchen – nicht nach Schuldigen
- Kontrolle ja – aber auch Vertrauen zu den Mitarbeitern
- Der unternehmerische Weitblick bringt Erfolg und Nachhaltigkeit –
Anstelle: Denk nicht an morgen. Die Zukunft kommt von allein.
- Was braucht der Kunde heute von uns? (nicht gestern, nicht übermorgen)
- Sich Zeit nehmen für die klare Sicht auf heutige und zukünftige Kunden
- Perspektivenvielfalt statt Tunnelblick
- Ohne Moos nix los! – Anstelle: Zuerst mache ich meinen Job, dann schaue ich nach den Kunden
- Jeder im Unternehmen kann für den Kunden und für die Finanzen mitdenken – nicht nur die Chefs
- Wir arbeiten das, was die Kunden wirklich wollen – achten aber auf die eigenen Kapazitäten (reicht 80 Prozent?)
- Netzwerke pflegen, neue Menschen kennenlernen, die übermorgen Kunde sind…
- Verantwortung für sich und andere übernehmen – Anstelle: Nur der Erfolg zählt! Die persönliche Integrität kommt danach.
- Sind Sie als Führungskraft in Ihrer eigenen Persönlichkeit fest verwurzelt?
- Macht Ihre Arbeit Sinn? Verstehen die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter den Sinn ihrer Arbeit?
- Sinn in der Arbeitsweise bringt Erfolg – „Sinnergie“
- Inspirationsquellen sind auch Produktinnovation, Qualität und Sinn – Anstelle: Zahlen, Daten und Fakten sind die einzige Inspirationsquelle
- Zahlen, Daten, Fakten ja – aber nicht als einziger Maßstab des Unternehmens
- Produktinnovation + Qualität + Sinn + Finanzen führen zum Erfolg
- In der Komplexität braucht es mutige Führungskräfte – Anstelle: Meine Mitarbeiter sind gut. Sie organisieren sich selbst.
- Gute Dirigentinnen/Dirigenten beflügeln ein Orchester
- … und stehen für Zukunftsvisionen, Produkte, Qualität, Technologie und eine Kultur des Miteinanders
- … und setzen auf Teamqualität
- Veränderungen sensibel mit dem Bewusstsein über die systemische Wirkung gestalten! – Anstelle: Dreh möglichst an allen Rädchen gleichzeitig – damit es schnell geht.
- Wenige definierte Prozesse – aufeinander abgestimmte und danach auch eingehaltene Prozesse führen zum Erfolg
- Vorsicht vor schnellen Organisationsänderungen – nur wenn die Menschen die Veränderung verstehen, kommt der Erfolg.
Offen sein für Jesus Christus
Wir müssen nicht perfekte Führungskräfte sein – wir können auf die eigenen Ego-Fallen achten! Die Komplexität der unternehmerischen Herausforderungen ist spannend und beengend zugleich: Als Christen kennen wir das Angebot, uns selbst für die Beziehung zu Jesus Christus zu öffnen. Da kann sich der Tunnelblick möglicherweise so weiten, dass wir einen neuen Blick auf die Zusammenhänge und die eigenen Fehler bekommen.
So wird es uns leichter fallen, uns selbstkritisch zu prüfen und unseren Beitrag als Unternehmerin/Unternehmer in der komplexen Realität zu leisten.
Buchhinweis:
Renate Henning: Die EGO-Falle – 7 Möglichkeiten, Ihr Geschäft zu ruinieren. 216 Seiten, 14,95 Euro. Murmann (Hamburg) 2015.
Renate Henning ist studierte Pädagogin und verheiratete Mutter von drei inzwischen erwachsenen Kindern. Sie lernte über Professor Heijo Rieckmann das OSTO-Systemmodell kennen, absolvierte darin eine Ausbildung und hat danach Firmen und Nichtregierungsorganisationen beraten insbesondere in Veränderungsprozessen. Zudem hat sie das Wochenseminar „Systemisches Management“ entwickelt und zwischen 1991 und 2020 mit rund 1.200 Teilnehmern durchgeführt. Seit 2014 arbeitet sie mit der OSTO-Systemtheorie selbstständig als systemische Unternehmensberaterin für Transformationsprozesse und die Begleitung von Führungskräften.