„Arbeit“ und „Beruf“ – beide Begriffe klingen sehr vertraut und jeder weiß, was damit gemeint ist. Aber ist das wirklich so? Und entspricht unsere Verwendung dieser Begriffe auch dem, was die Bibel damit meint? Dazu ein Beitrag des evangelischen Theologen und Generalsekretärs der Deutschen Bibelgesellschaft, Christoph Rösel.
Von Christoph Rösel
Noch bevor auf den ersten Seiten der Bibel vom Menschen gesprochen wird, stellt sich Gott selbst als „Arbeiter“ vor. Teilweise werden dabei besondere Wörter verwendet: „erschaffen“ (hebräisch „bara“) kann nur Gott selbst. Aber Gott erschafft nicht nur, er „macht“ (Gen 2,4), „bildet“ wie ein Töpfer (2,7) und „pflanzt“ einen Garten (2,8). Das alles sind Tätigkeiten, die sonst auch von Menschen ausgeführt werden.
Weil Gott selbst arbeitet, hat auch menschliche Arbeit im biblischen Verständnis eine besondere Würde. Sie ist Teil der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Deshalb ist der Mensch bereits im Garten Eden aktiv. Er soll den Garten bebauen und bewahren (Gen 2,15). Arbeit im biblischen Sinn gehört von Anfang an zum Menschsein dazu und ist nicht erst mit dem Sündenfall in die Welt gekommen. Seit dem Sündenfall geschieht sie allerdings unter verschärften Bedingungen. Jetzt bringt die Arbeit nicht mehr den wohlverdienten Ertrag. Statt Getreide wachsen Dornen und Disteln auf dem Acker. Aus der Arbeit wird damit Mühe und Last (Gen 3,17-18).
Zwischen Segen und Fluch
Der Fluch über den Acker (nicht über die Arbeit!) ist aber alles andere als das letzte Wort Gottes zum Tätigsein der Menschen. Immer wieder lesen wir davon, dass Gott den Acker segnet und die Arbeit der Menschen in besonderem Maß gelingen lässt. Psalm 127 bringt es auf den Punkt: „Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“ Menschliches Tätigsein und Gottes Segen wirken zusammen. So kann auch nach dem Sündenfall Arbeit gelingen. Arbeit als „Tätigsein“ ist nach biblischem Verständnis also ein selbstverständlicher Teil des Lebens. Sie ist notwendig, um den Lebensunterhalt zu ermöglichen: Arbeit gibt Brot. Wer nicht arbeiten will, soll deshalb auch nicht essen. Die Faulheit oder Trägheit, die ohne Not auf Kosten anderer lebt, wird sowohl im Alten Testament (AT) wie im Neuen (NT) abgelehnt.
Arbeit und Ruhe
Das Tätigsein und Schaffen des Menschen hat aber auch eine klare Grenze. Es ist von Anfang an in einen Wechsel von Arbeit und Ruhe eingebunden. Auch das entspricht dem Vorbild Gottes. Im altorientalischen Kontext war es mehr als verwunderlich, dass ein Gott selbst arbeitet. Wir sind dagegen vielleicht irritiert, dass der allmächtige Gott nach seiner Arbeit eine Ruhepause einlegt (Gen 2,1-3). Beides hat demnach seine Zeit: Arbeiten – und Aufhören mit der Arbeit. Im AT begrenzt der Sabbat die Arbeit. Er erinnert daran, dass der Mensch nicht von seiner Arbeit allein lebt, sondern vom Vertrauen auf Gott und von seinem Segen.
Das NT beschreibt das gleiche Anliegen durch die Ermahnung, nicht zu sorgen
(Mt 6,25ff). So wie in Psalm 127 das zu frühe Aufstehen und zu späte Ins-Bett-Gehen das Vertrauen auf Gottes Segen in Frage stellen, so ist es in der Bergpredigt von Jesus Christus die Sorge, die nicht loslassen kann. Sie will aus eigener Kraft das sichern, was nur Gott schenken kann. Doch stattdessen sollen wir auf Gott vertrauen. Dieses Vertrauen können wir jeden Sonntag neu einüben. Wie gut, dass uns dieser Wechsel von Werktag und Ruhetag heute ganz selbstverständlich ermöglicht wird.
Jeder Beruf kann Berufung sein
Aufschlussreich ist auch, dass in der Bibel eine ausdrückliche Bewertung der unterschiedlichen Tätigkeiten unterbleibt. Sie enthält keine Hinweise auf bessere oder schlechtere Berufe. Wichtig ist, dass jede und jeder den Platz und die Aufgabe ausfüllt, die ihr oder ihm entspricht und an die sie von Gott gestellt sind. Jesus lässt einen Zachäus in seinem Beruf als Zöllner, und Johannes der Täufer fordert selbst Soldaten gerade nicht dazu auf, den Beruf zu wechseln.
Wir müssen aber auch bedenken, dass die Bibel eine ganz andere Gesellschaftsstruktur und ein anderes Wirtschaftssystem voraussetzt. Ein Transfer der biblischen Aussagen in unsere Lebenswirklichkeit und Arbeitswelt muss also gut reflektiert werden. Die folgenden Aspekte sind ein Versuch, drei für uns relevante Gedanken aus dem biblischen Verständnis von Arbeit und Beruf abzuleiten.
1. Arbeit ist eine Frage der Berufung
Arbeiten zu können, war zur Zeit der Bibel notwendig zum Überleben. Damit war der Arbeit immer schon ein Zweck mitgegeben. Für uns in Deutschland ist das Überleben an sich mehr oder weniger garantiert. Damit fehlt ein Stück selbstverständliche Erfüllung und Befriedigung und zugleich ein klares Ziel, das es durch die Arbeit zu erreichen gilt. Statt für den reinen Lebensunterhalt arbeiten wir eher für den Lebensstandard. Doch damit ist viel schwieriger zu definieren, wann das Ziel der Arbeit erreicht ist. Es gibt immer noch mehr, das man sich kaufen kann – und wofür man deshalb auch noch arbeiten könnte.
Manche sehen Arbeit eher als Weg der Selbstentfaltung: Sie muss Spaß machen. In Gesprächen ist das eine der häufigsten Antworten auf die Frage, wie es jemandem in seinem Beruf geht: „Es macht mir Spaß!“ Aber auch das kann nicht immer gut gehen. Arbeit als Erwerbsarbeit muss Ergebnisse erzielen – ob es mir nun gerade Spaß macht oder nicht.
Diese verschiedenen Aspekte haben alle ihre Berechtigung, aber aus biblischer Sicht kommt noch etwas hinzu. Der Theologe Emil Brunner hat es einmal so formuliert: „Die christliche Gemeinde hat eine besondere Aufgabe. . . auf die verloren gegangene Dimension der Arbeit als göttliche Berufung hinzuweisen.“ Diese Berufung leitet sich ganz allgemein und für jeden daraus ab, dass Gott den Menschen als tätigen Menschen geschaffen hat. Es gibt deshalb nicht nur spezielle Berufungen für besondere Aufgaben. Sondern Gottes Ruf, sein Auftrag zeigt sich gerade auch an dem Platz, an dem ich mich vorfinde und an den er mich gestellt hat. In Prediger 9,10 heißt es deshalb: „Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu.“ Meine Arbeit, das, was ich tun kann, als Gottes Berufung für mich entdecken – das ist ein Impuls, den uns die Bibel mit auf den Weg gibt.
2. Flexibel sein und die eigenen Grenzen kennen
Die Arbeitswelt ist heute von vielen Wechseln und Veränderungen geprägt. Entsprechend müssen arbeitende Menschen heute vor allem flexibel sein. Wer nicht flexibel und anpassungsfähig ist, kann schnell an den Anforderungen und Veränderungen zerbrechen.
Flexibilität bringt auf der einen Seite eine gewisse Verunsicherung mit sich: Man weiß nicht, ob der freie Tag wirklich frei bleiben wird, ob im nächsten Jahr der Zeitvertrag verlängert wird oder ob demnächst der eigene Arbeitsplatz vielleicht an einen ganz anderen Standort verlegt wird. Andererseits eröffnet Flexibilität auch Gestaltungsspielräume. Man ist nicht mehr für ein ganzes Leben auf den einmal erlernten Beruf festgelegt. In einer flexiblen Arbeitswelt ist Platz für neue Ideen, für Fantasie und Kreativität. Nicht jedem ist es gegeben, solche Spielräume auch zu nutzen. Doch wer das kann, sollte die Gelegenheit nicht vorbeiziehen lassen.
Neben den Chancen liegen aber auch die Gefahren eines ständigen Wechsels auf der Hand: Alle Lebensbereiche, die auf Beständigkeit und Dauer angelegt sind, können beeinträchtigt werden. Das trifft stabile und langfristige Beziehungen am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld genauso wie die eigene Identität, die für viele auch mit Beruf und Arbeitsplatz verbunden ist. Wo alles flexibilisiert wird, gehen Halt und Sicherheit verloren.
Nun ist es schwer zu sagen, wie die Forderung nach Flexibilität in jedem einzelnen Fall sinnvoll begrenzt werden kann. Klar ist jedoch, dass Grenzen gezogen werden müssen und dass wir alle uns eingestehen müssen, dass wir Grenzen haben, an denen unsere Lern- und Anpassungsfähigkeit endet. Biblisch zeigt sich das besonders deutlich am Sabbat, der der Arbeit eine Grenze setzt und uns daran erinnert, dass wir aus dem Vertrauen auf Gott leben.
3. Christliche Gemeinden brauchen eine Vision für die Arbeitswelt
Die Realitäten der Arbeitswelt kommen in christlichen Gemeinden häufig nur am Rande vor. Predigtbeispiele greifen nur ganz selten Situationen am Arbeitsplatz auf. Pfarrerinnen und Pfarrer leben in ihrer ganz eigenen Arbeitswelt und haben wenig Gelegenheit, ihre Gemeindeglieder am Arbeitsplatz zu besuchen oder gar zu erleben.
Arbeitswelt und Gemeinde werden schnell zu zwei voneinander getrennten Lebensbereichen, die auch noch zueinander in Konkurrenz stehen. Die Zeit, die der Mensch an seinem Arbeitsplatz verbringt, ist für die Gemeinde „verlorene Zeit“. Es wäre doch viel besser, er oder sie würde weniger arbeiten und sich mehr in der Gemeinde/Gemeinschaft engagieren. Mag sein, dass das in manchen Fällen zutrifft. Doch es gibt noch eine andere Lösung für diesen Konflikt: Wie wäre es, wenn wir das, was die Menschen an ihrer Arbeit tun, in seiner Bedeutung für die Gemeinde erkennen würden? Wie wäre es, wenn wir eine umfassende Sicht unseres Lebens entwickeln könnten, in der die verschiedenen Aufgaben und Herausforderungen jeweils ihren angemessenen Platz haben, ohne dass Beruf und Gemeinde auf zwei voneinander isolierte und miteinander konkurrierende Lebensbereiche verteilt werden?
Damit eröffnen sich ganz neue Perspektiven für die gelebte Relevanz des christlichen Glaubens. Die meisten berufstätigen Christinnen und Christen verbringen mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als an irgendeinem anderen Ort. Am Arbeitsplatz können Kolleginnen und Kollegen jeden Tag beobachten, was Christsein praktisch bedeutet. Hier sind Christen und Nichtchristen demselben Stress ausgesetzt, leiden unter demselben Chef, müssen sich mit derselben Konzernstrategie auseinandersetzen und genießen dasselbe Kantinenessen. Wo sonst könnte und sollte jemand klarer erkennen, was Christus für das Leben eines Menschen bedeutet?
Als Christen sind wir herausgefordert, das Verhältnis von Arbeitswelt und Gemeinde neu zu überdenken. Dabei können alle Beteiligten nur gewinnen: Jede und jeder für sich, weil durch eine bessere Verbindung zwischen Arbeitswelt und Gemeinde/Gemeinschaft unser Leben ganzheitlicher wird und nicht so schnell in voneinander getrennte Lebensbereiche zerfällt. Genauso aber auch „die Arbeitswelt“, weil sie Menschen braucht, die wissen, wozu sie arbeiten und wo Arbeit auch ihre Grenzen hat. Und auch die christlichen Gemeinden werden profitieren, weil sie ja für die Menschen da sind und deshalb möglichst gut auf die Fragen der Menschen eingehen wollen. Dazu brauchen sie auch eine klare Perspektive für die Arbeitswelt, die einen so wesentlichen Teil unseres Lebens bildet.
Zum Autor:
Christoph Rösel, Jahrgang 1964, ist promovierter Theologe und seit 2014 Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart. Von 1996 bis 2002 war er theologischer Referent der Akademiker SMD, einem Netzwerk von Menschen in akademischen Berufen, von 2003 bis 2014 Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg. Rösel ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.