Aufbrüche gehören zum Leben. Doch wir haben manchmal Angst davor, verharren lieber im Status Quo. Wer zu ängstlich ist, verpasst allerdings leicht die riesigen Chancen, die das Leben bietet. Deshalb ruft dieser Beitrag – verfasst von zwei Vertretern der „Young Professionals“ bei faktor c – zum Aufbruch auf.

 

Von Martin Schwemmle und Dorothea Lindner

 

Was verbinden Sie mit dem Wort „Aufbruch“? Ein duftendes ofenfrisches Brot, dessen Kruste krachend auseinanderbricht? Oder die Bilder von Flüchtlingsströmen, die ihre Heimat hinter sich lassen und aufbrechen in eine ungewisse Zukunft? Und was fühlen Sie, wenn Sie an die Aufbruchsstimmung denken? Den pulsierenden Aufbruch des Helden in einer Abenteuergeschichte oder die Überraschung, wenn das grelle Licht nach einem viel zu kurzen Abend mit Freunden in der Bar angeht? Wann sind Sie eigentlich zum letzten Mal aufgebrochen? Was war Ihr letzter Aufbruch?

 

Vielleicht denken Sie jetzt an Silvester – Aufbruch in ein neues Jahr. Aber mal ehrlich: Was hat sich denn seitdem verändert, außer dem Kalender an der Wand? Mein (Dorotheas) letzter Aufbruch war kurz vor Weihnachten. Kistenpacken für den spontanen Umzug in die Wohnung ein Stockwerk höher. Viele Bekannte und Freunde haben es als gar keinen richtigen Umzug empfunden, ging ja nur die Treppe hoch. Und doch fühlte es sich für mich als ein echter Aufbruch an.

 

Was ist denn dann so ein Aufbruch, wenn sich manchmal scheinbar nichts oder nur wenig verändert? Vielleicht geht es gar nicht so sehr um die äußere Geste, sondern um ein inneres Erwachen, einen mentalen Aufbruch. Darum, etwas Neues zu wagen, buchstäblich die eigenen vier Wände zu verlassen und rauszugehen aus der Komfortzone. Halten wir fürs Erste fest: Es gibt viele Arten von Aufbrüchen – physisch, mental, geistlich. Und nicht alles, was von außen nach einem Aufbruch aussieht, ist auch einer. Und nicht jeder Aufbruch ist laut und von außen als solcher erkennbar.

 

Aufbruch braucht Mut

 

Nähern wir uns dem Aufbruch mal von einer anderen Seite: Was braucht es, um aufzubrechen? Ganz schön viel Mut! Denn in Aufbruch steckt nicht umsonst „brechen“. Es geht darum, Altes, Liebgewonnenes loszulassen. Die Hände freizubekommen für was Neues. Das Sichere gegen das Ungewisse einzutauschen, sich auf Unbekanntes einzulassen – und mutig weiterzuschreiten. So ist es, wenn Sie einen neuen Job in der fremden Stadt annehmen. So war es, als Gott in der Bibel den 75-jährigen Abraham zum Umzug aufforderte. Nicht nur einen Stock höher, sondern nach Kanaan. In seiner Berufung spricht Gott sogar explizit aus, was Aufbruch bedeutet – das Alte verlassen, um zum Neuen zu kommen: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (Gen 12, 1).

 

Der Mut zum Aufbruch beinhaltet dabei zweierlei. Zum einen das, was wir dem Angstgefühl gegenüberstellen: den Mut, das Alte hinter sich zu lassen und dem Liebgewonnenen den Rücken zu kehren. Die größten Geschichten der Menschheit handeln immer wieder vom Mut, diesen Schritt zu gehen. Aber er kommt nicht von ungefähr. Mut ist kein Selbstzweck, sondern entsteht aus einem höheren Motiv heraus, aus etwas, was uns antreibt und auf das wir uns verlassen können. Das ist die zweite Komponente des Muts: Liebe und Vertrauen.

 

Edward Snowden und Harry Potter

 

Denken Sie mal an Ihre letzten Aufbrüche zurück. Was hat Ihnen diesen Mut gegeben? Worauf haben Sie vertraut? Was hat Ihnen die Kraft gegeben, den ersten Schritt des Aufbruchs zu gehen? Vielleicht das Wissen darum, dass man doch immer wieder zum Status Quo zurückkehren kann. Oder, dass vielleicht eben diese Rückkehr zum Status Quo kein tragbarer Zustand mehr ist, und es das Neue einfach braucht. Oder vielleicht das Vertrauen darauf, dass Sie während des Aufbrechens einen richtungsweisenden Nordstern haben, der Ihnen langfristig Orientierung gibt.

 

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele in der Geschichte, in Filmen und der Bibel, die uns zeigen, wie jeder Mensch an jedem Ort mutig sein kann. Auch wenn es Jahre dauern mag, bis sie ans Ziel kamen: eine Verheißung oder eine größere Vision hat sie bis dahin getragen. So zum Beispiel Edward Snowden, der angetrieben durch sein Demokratieverständnis die Enthüllung der weltweiten Spionageakte aufdeckte. Oder Harry Potter, der aus Liebe zu seinen Freunden den Kampf gegen das Böse aufnimmt. Oder die Jüdin Ester, die motiviert von der Liebe zu ihrem Volk ihr eigenes Leben riskiert und mutig vor den König tritt, damit der Genozid verhindert wird.

 

Die Heldenreise

 

Bei allem Neuen, was so ein Aufbruch mit sich bringt, gibt es auch ein paar gleichbleibende Muster. Der Literaturprofessor Joseph Campbell hat einen Prozess solcher Muster mit seiner „Heldenreise“ beschrieben. Zahllose Filme und Romane orientieren sich an dieser Struktur – und ebenfalls viele Geschichten in der Bibel. Die Heldenreise im Detail zu beschreiben, würde diesen Artikel sprengen, deswegen gehen wir auf drei Aspekte des Anfangs der Heldenreise ein. Weiterführende Informationen finden Sie in den unten genannten Links.

 

Erkenntnis #1: Jeder Aufbruch beginnt im Heute

Aufbrüche kommen nicht aus dem Nichts. Sie setzen in der gewohnten Welt an, in der Veränderung angezeigt ist. Luke Skywalker in „Star Wars“ lebt ein beschauliches Leben bei Onkel und Tante und langweilt sich, als ihn der Ruf des Abenteuers erreicht. Er ist zudem ein Außenseiter, ein Waisenkind, genauso wie Balthasar Bux in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“. Heißt: Aufbrüche überkommen einen meist nicht, sondern knüpfen an Bestehendes an.

 

Erkenntnis #2: Weigern ist normal

Nach dem Ruf des Abenteuers, in dem der Protagonist vor eine Aufgabe gestellt wird, folgt als zweiter Schritt unweigerlich – die Weigerung. Der Prophet Jona will nicht nach Ninive. Der Vorgesetzte im „Tatort“ will die Ermittlungen verhindern. Der Protagonist muss mit sich ringen, er hat Angst. Heißt: Es ist völlig normal, dass man den Aufbruch vermeiden will. Und es ist ebenso normal, dass es Menschen gibt, die einen von der Reise abhalten, in der Theorie „Schwellenhüter“ genannt. Und dass es gleichzeitig andere gibt, Mentoren, die einem dazu raten. Diese Mentoren begegnen dem Helden ganz persönlich in seiner Situation. Sie kennen zwar das bigger picture (z.B. „Führe das Volk aus Ägypten“) aber unterstützen den Helden ganz konkret dort, wo er gerade persönlich seine Herausforderung sieht (z.B. Aaron spricht für Mose vor dem Pharao, da Mose kein guter Redner ist).

 

Erkenntnis #3: Nur wer losläuft, wird ein Held

Erst wenn die Hauptfigur sich auf den Weg macht und die Schwelle vom Heute in die unbekannte Welt überschreitet, wird sie zum „Held“. Manchmal gibt es dafür einen Tritt in den Hintern von außen, ein schockierendes Erlebnis oder eben den Mentor, der den Weg weist. Heißt: Jeder Aufbruch hat eine solche Schwelle, die überwunden werden will, damit die eigentliche Reise beginnt. Wer weiß, dass die Reise zum Neuen einem Muster folgt, kann dem Prozess voll und ganz vertrauen: Ich weiß, Schwierigkeiten bleiben nicht aus, ich werde persönlich ringen, aber: Ich bekomme Hilfe an die Seite gestellt und kann mich darauf einlassen, dass ich dem Ruf folgen darf und es auch schaffen werde.

 

Aufbruch ist notwendig

Und was ist, wenn ich den nötigen Schritt doch nicht gehe? Kann ich nicht einfach stehen bleiben und mit dem Heute zufrieden sein? Oder anders gefragt: Warum ist Aufbruch wichtig? Eines ist klar: Es geht nicht um Aktionismus, kühne Heldentaten oder ein Hamsterrad des permanenten Aufbruchs. Wie die erste Erkenntnis aus der Heldenreise gezeigt hat, erfolgt der Aufbruch aus einem „Status Quo“ heraus. Der muss erst einmal etabliert sein. Und es geht zudem nicht um Aufbruch um des Aufbruchs willen: Meist gibt es eine Unzufriedenheit im Heute oder einen ungestillten Wunsch, ein Talent, das nicht ausgelebt wird, ein Drang nach mehr. Aufbruch hat also oft einen inneren Anlass. Manchmal auch einen äußeren: Unsere Welt verändert sich rasant schnell, wird immer volatiler und komplexer. Und wenn sich unser Umfeld ständig neu erfindet, kann das auch dazu führen, dass wir mit manchen dieser Veränderungen Schritt halten müssen, indem wir innerlich aufbrechen.

 

Aufbruch ist Leben

Nun könnte man sagen: Wie soll denn Aufbruch in einer Zeit des Stillstands gehen? Es ist 2022, und vor zwei Jahren hätte niemand gedacht, dass wir immer noch mitten in einer Pandemie stecken. Das fühlt sich so gar nicht nach Aufbruch an, nach Tatendrang und Hoffnung. Aber genau dann braucht es doch den Aufbruch umso mehr! Viktor Frankl hat dies einmal treffend zusammengefasst: Viele Menschen fragen geradezu anklagend, was das Leben noch für sie zu bieten hat. Frankl dreht den Spieß um: „Leben selbst heißt Gefragtwerden, heißt antworten.“ Also nicht wir fragen, sondern wir sind gefragt: Was kann ich tun?

 

Um mit Walt Whitmans Worten zu sprechen: Nie war mehr Anfang als jetzt. Wir wünschen Ihnen deshalb den Mut und das Vertrauen zum Aufbrechen. Das prickelnde Gefühl, aufzubrechen in das Neue, Unbekannte. Die Fähigkeit, Chancen zu sehen und die Hoffnung, dass am Ende Ihrer Aufbruchsgeschichte nicht die Weltgeschichte komplett verändert ist, sondern vielmehr Sie selbst ganz persönlich. Nur Mut!

 

 

 

Dorothea Lindner ist Release Train Engineer bei der KfW Bankengruppe.

 

Dr. Martin Schwemmle ist Innovation Researcher am Hasso-Plattner-Institut, Coach, Consultant und Autor. Er leitet das faktor c impact weekend für Young Professionals.

 

 

Young Professionals impact weekend 2022 zum Thema „Aufbruch: Orientierung finden, Neues wagen“ — 30. Juni bis 3. Juli 2022 in Rothenburg ob der Tauber

Keynotes u. a. von Martin Daum, Vorstand Daimler Truck AG, und Daniela Eberspächer-Roth, Geschäftsführende Gesellschafterin PROFIMETALL Gruppe.

Workshops, Networking, Gottesdienst und vieles mehr. Weitere Informationen und Anmeldung zum Frühbucherpreis: ((@ Ben: Kannst du hier eine Short-Domain + QR-Code kreieren? Und bitte die Bildwelt der üblichen Kommunikation des iw nutzen.))

 

 

 

***

Weitere Informationen zur Heldenreise:

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/deutsch-und-literatur/heldenreise-mythen-100.html

https://www.strategisches-storytelling.de/die-heldenreise-von-david-im-kampf-gegen-goliath/