Vor 50 Jahren trat der promovierte Ingenieur Joachim Spitzner dem „Verband christlicher Kaufleute“ (VcK) bei. Der hieß zwischenzeitlich „Christen in der Wirtschaft“ (CiW) und firmiert heute unter „faktor c“. Ein paar Erfahrungen hat Spitzner für dieses Magazin aufgeschrieben – etwa, wie er als Christ und Geschäftsführer zunächst kritisch von seinen Gesellschaftern beäugt worden war.
Von Joachim Spitzner
„Abschreckend altmodisch“ fand ich ihn, diesen Namen „Verband christlicher Kaufleute“. Trotzdem bin ich vor 50 Jahren Mitglied geworden. Warum? Dem damaligen Geschäftsführer Joachim König in Würzburg schrieb ich im Februar 1971, dass ich in Kürze vom wissenschaftlichen Hochschulbetrieb zu einem industriellen Wirtschaftsbetrieb wechseln würde. Dabei bekäme ich es als technischer Berater im Außendienst wohl viel mit Kaufleuten zu tun. Also ein Weltenwechsel!
Und der kam dann auch. An der Hochschule fragte man sich „Was hat er gesagt? Und was folgt daraus?“ In der Wirtschaft musste man sich fragen „Warum hat er das gesagt? Und was folgt daraus?“ Also vom harmlos-faktischen zum hintersinnig-politischen Denken.
Schneller Aufstieg
Zu meinem Glück habe ich mein ganzes Leben lang in diesen beiden Welten leben dürfen. Schon nach wenigen Jahren übertrug man mir die kaufmännische Geschäftsführung. In den folgenden 24 Jahren in diesem Amt habe ich aber weiterhin wissenschaftlich arbeiten können, Diplomarbeiten betreut, in Forschungseinrichtungen und bei europäischen Normen mitgewirkt. Noch heute, mit 83 Jahren, bin ich einerseits an der Wertpapierbörse unterwegs und bereite andererseits Schüler mit Ferienkursen in Mathematik und Geometrie auf ihre Quali-Prüfung vor. Kann es Belebenderes geben?
Erzählen will ich zwei Begebenheiten mit meinen Gesellschafterfamilien. Einer der Herren befürchtete bei meiner Berufung zum Geschäftsführer, dass ich wegen meiner christlichen Haltung die Firma nicht gewinnorientiert führen würde. Diesem Herrn habe ich die berühmte Geschichte erzählt von dem Chef, der vor einer längeren Auslandsreise seinen Mitarbeitern verschieden hohe Geldsumme anvertraute, nämlich eins und fünf und zehn Güter (= „Talente“). Bei seiner Rückkehr wurden diejenigen hochgradig belobigt und befördert, die das Vermögen verdoppelt hatten. Der eine jedoch, der sein Gut nur aufbewahrt hatte, wurde als böse abgekanzelt und enteignet. Der Herr Gesellschafter war überrascht, dass diese Geschichte von Jesus stammt (Matthäus 25 und Lukas 19). Einige Jahre später sagte er mir: „Ich wüsste nicht, wo ich mein Geld besser anlegen könnte als bei der von Ihnen geführten Firma!“
„… wie wenn es Ihre Firma wäre…“
Zwei Mitarbeiter waren unverschuldet in eine finanzielle Notsituation geraten. Auf meine Frage an die Gesellschafter, ob ich denen unkonventionell helfen dürfe, sagte einer der Herren: „Tun Sie, wie wenn es Ihre Firma wäre!“ Das drückt Vertrauen aus. Aber auch meine ganze Lebenseinstellung als Haushalter: Ich gehöre nicht mir. Was ich erhalten habe, ist auch für andere da!
Apropos Lebensmotto: Seit Jahrzehnten prangt auf Seite 1 meines Taschenkalenders: Fair geht vor! Später kam hinzu: Nach vorne oben! Noch länger aber gilt mir der Satz, den der lebenserfahrene, alternde Doktor Paulus an seinen jungen Mitarbeiter Timotheus gleich am Anfang seines zweiten Briefes geschrieben hat: „Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (englisch: Self Control). Diesen Satz hatte meine Tochter Ruth Anfang der 80er-Jahre kaligrafisch aufbereitet, und er hing in meinem Büro. Immer wieder blieben Leute lesend davor stehen: Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Bankleute, Journalisten – am längsten aber die Konkurrenten!
Mitarbeiter am Erfolg beteiligen
Management ist „doing things by others“. Dazu braucht es geeignete Strukturen und die Motivation dieser Anderen, vor allem aber das Vertrauen in sie. Erfahren habe ich das immer wieder, am kraftvollsten bei zwei neuen Firmen kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. In Ilmenau/Thüringen konnten die aus der DDR stammenden Erfinder ihr Patent realisieren und in einer neuartigen Fabrik das Blähglas aus Altglas „upcyceln“. Im tschechischen Vintirov übertrugen wir die Leitung des vom Staat gekauften 200-Mann-Betriebs zwei Einheimischen. Der Erfolg war durchschlagend: Vertrauen kriegt Junge, positive Zumutungen und Entscheidungsfreiheiten werden an die Mitarbeiter weitergegeben und setzen sich so von Ebene zu Ebene fort! Sehr vorteilhaft ausgewirkt hat sich auch – zumindest atmosphärisch – die 1977 im Unternehmen eingeführte Erfolgsbeteiligung für alle Mitarbeiter, die länger als ein Jahr dabei sind.
Zurück zu meinem Brief vom Februar 1971. Hilfe erhoffte ich mir von diesem VcK beim Kennenlernen von Kaufleuten, die als Christen leben. Und sie kam – nicht stürmisch, aber stetig! In Form von authentischen Persönlichkeiten.
Authentisch: Kupsch und Pestel
Da war zunächst einmal der Vorsitzende Hermann Kupsch, Inhaber einer Kette von Lebensmittelmärkten im Raum Würzburg, und seine Familie. Dann sehr lebendige Kontakte auf Tagungen und bei Gesprächsabenden, besonders aber der nächste Geschäftsführer Hanns-Peter Pestel. In den rund 20 Jahren seiner Tätigkeit konnte im Raum Nürnberg viel bewegt werden, obwohl wir dort nur fünf VcK-Mitglieder waren! Regelmäßige Standbesetzung bei der Spielwarenmesse, zwei Gesprächsabende jährlich mit exzellenten Vorträgen und manchmal mehr als 30 Teilnehmern.
Seit etwa 20 Jahren nehme ich mir als Älterer das Recht, mehr begleitend an der Seite zu stehen. Ich lasse mich jedoch nicht beirren. Auch wenn mir manches ein bisschen zu avantgardistisch erscheint und wenn (wie im Jahr 2011) Irritierendes im Verband geschieht, so stehe ich zu meinem Satz im Brief von 2012 an den Vorsitzenden Frank Suchy: „Ich werde die Treue halten und wünsche Ihnen und dem ganzen CiW von Herzen alles Gute. Glück auf!“
Gottes wunderliche Typen
Das wäre jetzt ein Schlusswort gewesen. Aber ich will noch zwei Beispiele dafür anfügen, wie bewusst herbeigeführte Willensentscheidungen das Verhalten steuern – zumindest bei mir.
Erstens: Bei meiner Berufung zum Geschäftsführer war mir bewusst, dass ich nun mit vielen verschiedenen Menschen zu tun haben würde. Da habe ich mir klar gemacht: Alle, wirklich alle, die mir ab jetzt begegnen, sind Gottes Geschöpfe – auch die wunderlichen Typen! Also hab sie gern!
Zweitens: Nächstenliebe funktioniert nur, wenn ich Achtung vor dem anderen habe. Also versuche ich, ihn so hoch zu achten wie möglich. Beispielsweise habe ich tatsächlich großen Respekt vor der Jugend; Kinder und Heranwachsende merken das und fassen Zutrauen.
All dies hat unsere frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Großen Zapfenstreich am 2. Dezember 2021 in die Abschiedsworte gefasst: „Respekt, Solidarität, Vertrauen sind die Grundlage für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.“ Wie wahr!
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Joachim Spitzner, Jahrgang 1938, hat lange Jahre als Kaufmännischer Geschäftsführer für eine Baustoff-Firma in der Region Nürnberg gearbeitet. Der verwitwete Vater von drei Kindern und Großvater von acht Enkeln ist promovierter Bauingenieur. Im Ruhestand engagiert er sich ehrenamtlich im Pfarramtsbüro, in der Jugendarbeit und als Schülercoach.